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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Ludwig van Beethoven

Die 32 Klaviersonaten

Annie Fischer

Hungaroton/Klassikcenter Kassel HCD 41003
(1977, 1978) 9 CDs

Von der "großen Annie Fischer" sprechen die Klavierbücher im Unisono, doch den Würdigungen folgt selten eine ausführliche Beschreibung dieser "Größe". Sollte es schwierig damit sein? Hört man in ihren Beethoven-Zyklus, dessen vieljährige Entstehung einer zerfahrenen Leidensgeschichte gleicht, merkt man, dass es tatsächlich schwierig ist, diesen Stil zu fassen.
Da lädt nichts Gefälliges, nichts exaltiert Ausgestelltes ein, das sich rasch mit schönen Worten loben ließe. Ein karger, fast asketischer Klang weist uns erst einmal ab. Der für seine "Gefrierbetonpianistik" (diesen Ausdruck aus einem "Fono-Forum"-Verriss der frühen Achtziger, den ich als Schüler erschrocken las, vergesse ich nie) getadelte Rudolf Buchbinder klingt wie ein Samtpfoter daneben. Hart bis zur Diskant-Schrillheit ist der Klavierton, und - die große Annie verzeihe mir diese Respektlosigkeit - in der "Hammerklaviersonate" haben wir ein überhart intoniertes Instrument (kann so ein Bösendorfer klingen?), das an ein Salon-Piano im Wilden Westen erinnert. Die ohnehin klanglich heikle Prestissimo-Episode im zweiten Satz scheppert an der Grenze zum Parodistischen.
Doch diese klangliche Kargheit wird, hört man geduldig weiter, immer unwichtiger. Wir merken bald, dass dahinter tiefere Qualitäten zu entdecken sind. Ich musste beim Hören an diese griechischen Inseln denken, an deren schroffen Küsten sich kein Baum zeigt und keine Bucht, aber in ihrem Inneren warten grüne Täler. Man muss sich nur aufmachen zu den Orten der Windstille.
Das sind in diesem Zyklus die langsamen Sätze gerade der frühen Sonaten. Annie Fischer phrasiert ihre weiten, hymnischen Themen mit geradezu unfasslicher Ruhe und Abgeklärtheit. Wie oft zerfallen diese Gebilde, weil die Interpreten die erschreckenden Kräfte, die die weiten Bögen zu zerreißen drohen, nicht zu kontrollieren wissen. Zum Beispiel bei jener Explosion der klanglichen Mitte im Adagio der Es-Dur-Sonate Opus 7, einem beunruhigenden Spätwerk-Ausblick. Annie Fischer verwandelt Beethovens exzentrische ffp-Anweisungen an diesem verstörenden Moment des Mittelteils in ein ganz sanftes Innehalten. Ihr Puls bleibt ruhig. Sie sorgt sich um die Verdichtung dieser Musik, nicht um jene exaltierte Zersetzung, die uns gerade am aufgewühlten Schluss des "Largo e mesto" aus op. 10/3 von Jüngeren gern geboten wird.
Annie Fischers innerer Einsatz scheint noch zu wachsen bei den "Halbschwergewichten" unter den langsamen Sätzen. War das geschundene Adagio der "Pathétique" je unverbrauchter, reiner zu hören? Vielleicht liegt es an den so fein, so neugierig herausgehörten, sonst schweigenden Unterstimmen? Eine regelrechte Neuentdeckung mag ihr mit dem immer "italienisierend" genannten Adagio der B-Dur-Sonate Opus 22 gelungen sein. "Italienisierend" bedeutet ja so viel wie "etwas weniger bedeutend". Aber diese Musik wird groß und gewichtig bei Annie Fischer, weil sie diese angebliche Belcanto-Figuration ausspielt, als seien dies Rezitative im "Klagegesang" des Opus 110. Dieser Ernst ist priesterlich und asketisch, lächelndes Charmieren ist nicht erlaubt.
Auch kein derb-humoriges Poltern. Das sind nicht ihre Momente, und sie bleiben dann auch etwas bleich, etwa in den Finalsätzen von Opus 31/3 und 78. Annie Fischer lebt auf bei den "letzten Dingen", etwa in der As-Dur-Passion des Opus 110 mit dem leidend zergrübelten Klagegesang, für den ihr holzschnittartig spröder Klavierklang geschaffen zu sein scheint. Die mächtigen G-Dur-Akkorde, unter deren Schlägen sich das Thema aus dieser Unterwelt befreit, schwellen in unbeschreiblicher Intensität an. Nur Edwin Fischer (nicht verwandt!) vermochte diesen Moment als ähnlich magische Erweckung zu inszenieren. Aus den Abgründen zu erstehen ist Annie Fischers Sache - dies rauschend zu feiern dann nicht mehr. Das virtuose Gleißen etwa des Les-Adieux-Finales überlässt sie gerne anderen.
Einer Größe kann man in der Edition begegnen, die unserer Zeit ein wenig fremd zu sein scheint, die uns keine raschen, überwältigenden Genüsse verspricht. Viel zu wahrhaftig ist diese Kunst, um bloß schön zu sein.

Matthias Kornemann, 01.09.2007


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