Chandos/Codaex CHAN 10245
(75 Min., 1/2004) 1 CD
Die vielschichtigen Leiderfahrungen zweier Kriege - Kampf gegen den Antisemitismus in der ungarischen Heimat, Verlust zweier Söhne, die als Hitlerattentäter hingerichtet wurden, nachhaltige Einbuße der menschlichen und künstlerischen Reputation wegen Übersiedelung ins nationalsozialistische Österreich aus Furcht vor der russischen Besetzung Ungarns im Jahre 1944 - haben Ernst von Dohnányi (1877-1960) ebenso wenig von seinem spätestromantischen musikalischen Idiom abgebracht wie die Freund- und Weggefährtenschaft mit Bartók und Kodály. Zwar ist seinen späten konzertanten Werken - das jeweils zweite Klavier- und Violinkonzert sowie das Harfen-Concertino entstanden in den Jahre 1946-1952 - ein epigonales Verhältnis zur Stilistik von Johannes Brahms, wie sie Dohnányi im Blick auf seine früheren Stücke gern nachgesagt wird, nicht mehr vorzuwerfen, aber freilich handelt es sich um ungebrochen tonale Musik mit vielen schmachtvoll- schwelgerischen Passagen und allenthalben spürbarer Freude an effektvoller Virtuosität. Die daraus erwachsende Kritik an einer für anachronistisch befundenen künstlerischen Haltung des Komponisten scheint mit einer europäischen Erwartungshaltung zusammenzuhängen, die nach zwei Weltkriegen keine üppige und wohlklingende Musik mehr akzeptieren konnte - oder wer hätte jemals etwa Samuel Barber sein zeitgleich mit demjenigen Dohnányis entstandenes, nicht minder retrospektives Violinkonzert zum Vorwurf gemacht? Dohnányis hier eingespielte Konzerte zeugen unbeschadet ihrer unproblematischen Faktur ohne Brüche oder Versinnbildlichungen von Schrecken und ernsthaftem Leid allerdings von einer meisterhaften Beherrschung der Materie, die auch sehr wohl zu einer ganz eigenen musikalischen Handschrift führt. Vor diesem Hintergrund sind sie, wenn man mag, zu erleben und zu schätzen, zumal in so hervorragenden Interpretationen wie denen des englischen Notenfressers und Tastenakrobaten Howard Shelley, des kanadischen Violin-Wohltöners James Ehnes und des hervorragenden, zum BBC Philharmonic gehörenden Harfenisten Clifford Lantaff. Ihnen oblag es, für diese CD zur untadelig brillanten Begleitung des BBC Philharmonic Dohnányis wunderbar verschlungenen melodischen und harmonischen Wegen zu folgen; sie taten es bravourös und mit großem Engagement, und ihre Leistungen tragen vielleicht zu einer Dohnányi-Renaissance bei, deren Repertoire im gegenwärtigen Zeitalter des abgebrühten Stilpluralismus und der vielfachen Überschreitung von Geschmacksgrenzen bei weitem noch zu den grundsoliden kulturellen Inhalten zählen würde.
Michael Wersin, 01.09.2007
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