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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Die Zusammenstellung von Aufnahmen für die vorliegende 5-CD-Box zählte zu den letzten Aufgaben, denen sich der im Jahre 2004 verstorbene französische Bariton Gérard Souzay gewidmet hat. Das Ergebnis ist ein Reigen aus vielen Lied- und einigen Opernarienaufnahmen aus den 60er Jahren, welche nicht nur für die von der Stereophonie beflügelte Plattenindustrie, sondern glücklicherweise auch für Souzay persönlich eine goldene Zeit waren: Mit seinem hervorragenden Klavierbegleiter Dalton Baldwin spielte er damals eine große Zahl von Liedern ein, die sein lyrisch-weiches Baritonmaterial in sehr guter Verfassung dokumentieren (bald darauf, zu Beginn der Siebziger, Jahre machte er eine ernsthafte Stimmkrise durch). So kann sich der Hörer dieser CDs freuen auf die beachtlichen Interpretationsleistungen eines erfahrenen Anfangs-Vierzigers, der als Ergebnis seiner profunden Auseinandersetzung mit Melodie und Sprache diese beiden Parameter in eine optimale Balance zu bringen versteht. Davon leben nicht nur seine wundervollen, in der Tat einzigartig schönen Einspielungen französischer Mélodies von Fauré, Ravel, Hahn und Poulenc (das Fehlen der schon lang vergriffenen Aufnahme von Faurés "La bonne Chanson" in dieser Sammlung ist übrigens höchst bedauerlich), sondern auch diejenigen von deutscher Liedliteratur: Schuberts "Schöne Müllerin" (Jürgen Kesting spricht von der "besten Bariton-Aufnahme" dieses Zyklus'), Schumanns Dichterliebe sowie einzelne Lieder von Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms und Strauss offenbaren das tiefe Einfühlungsvermögen dieses Sängers auch in eine zunächst fremde Sprache, die er phonetisch gut, wenn auch nicht hundertprozentig beherrscht.
Hörbar werden innerhalb dieses Spektrums vokaler Genüsse allerdings auch stimmliche Grenzen: Souzay verfügte zur Zeit dieser Einspielungen über eine relativ kurze Höhe - an das hohe A in der Dichterliebe wagt er sich nicht heran, und bereits um F oder Fis herum klingt er immer wieder einmal etwas eng und angestrengt, hat in dieser Grenzlage auch nicht immer die volle Freiheit bei der Färbung der Vokale. Auffällig auch die Tendenz, das obere Register etwas zu isoliert einzusetzen; hieraus resultieren Intonationsprobleme u. a. im zweiten Lied der "Schönen Müllerin". Weil die Stimme nicht immer ganz im Fokus, sondern häufig zu gaumig platziert wird, leidet, wie im selben Lied wahrnehmbar, die Flexibilität bei schnelleren Bewegungen. Ähnlich ambivalent der Eindruck, den die enthaltene CD mit Opernarien hinterlässt: Sie offenbart bei aller gestalterischen Nuanciertheit doch auch die grenzwertige Durchschlagskraft der Stimme, aufgrund derer Souzay zu oft an der oberen Belastungsgrenze agieren muss, um das erforderliche Volumen zu produzieren. Ein intelligenter, hochsensibler Künstler also, der mit begrenzten stimmlichen Mitteln hauszuhalten hatte: Insgesamt führte dies im Fall Souzays zu einem absolut hörenswerten Vermächtnis, denn er war bescheiden genug, nicht das Unmögliche zu versuchen und inspiriert genug, auf den ihm zugänglichen Gebieten Großartiges zu vollbringen.

Michael Wersin, 01.09.2007


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