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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Wenn das eine Operette ist, heiße ich Krautheimer: Es ist eine und ist keine. Eine Oper auch nicht - eher eines jener oszillierenden Schmelzwerke, wie sie erst viel später Kurt Weill ersann. In etwa eine Operetten-Bühnenweihfestspiel- Singoper mit nestroyscher Prä-Musical-Kauzigkeit. Jedenfalls eine weit größere Kunstanstrengung des Walzerkönigs als selbst "Der Zigeunerbaron", der ja explizit Oper sein sollte.
Grimmelshausens großes Schlachtengemälde aus dem Dreißigjährigen Krieg, reflektiert im Auge eines reinen Toren, des Ich-Erzählers Simplicius Simplicissimus, wurde vom Librettisten Viktor Léon mitnichten verhübscht - passt also nicht so recht in die Welt der guten, alten Operette, wo der Vater die Tochter nicht erkennt, weil sie andere Handschuhe anhat. Léon sah die Zukunft des Genres darin, "echte Menschen" auf die Bühne zu bringen, und Johann Strauß sprach’s aus der Seele. Der Lohn: ein Misserfolg. Umarbeitungen und die Umarbeitungen der Umarbeitungen folgten; noch bis in die Neunziger Jahre galt das Werk als "unrettbar verschollen".
Jetzt ist es da, und es ging zwar die übliche Puzzle-Arbeit voraus, aber denn doch nicht zu doll: Die Zürcher konnten auf der Basis einer kompletten Uraufführungs-Partitur eine Fassung zusammenbasteln, die gleich auch noch das Beste der Korrekturen enthält. Herausgekommen ist ein Parsifal im (häufigen) Dreivierteltakt, ins wirkliche Leben von Kriegern und Gewinnlern geworfen, keine Karfreitags-Fantasie von Gralsrittern. In minuziösester Musik-Dramaturgie, mit selten ausgepichter Instrumentierung und wagnerscher Leitmotivik unzweifelhaft das Werk eines Meisters - nur nicht so ganz gemäß dem Bilde, das man, Fledermaus-trunken, sich von ihm gemacht.
In unserer Zeit der Übersättigung am Bekannten und Lust auf Halb-bis-ganz-Vergessenes eine der wichtigsten Ausgrabungen - zu danken dem Dirigenten Franz Welser-Möst, der doch nicht zu früh zu weit oben war. Die Aufführung des Opernhauses Zürich, hier "live" eingespielt, besticht als von A bis Z übereinstimmende Ensemble-Arbeit, kein Star weit und breit - außer dem Stück selbst. Und so sollte es eigentlich immer sein.

Thomas Rübenacker, 01.09.2007


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