Archiphon/Note 1 128/129
(1941 - 1948) 2 CDs
Johann Sebastian Bachs Solostücke für Violine galten lange als Etüden - Lernfutter, sonst nichts. Noch um die Wende des letzten Jahrhunderts waren sie weitgehend unbekannt: Als Bronislaw Huberman, der Lehrer Gerhard Taschners, die große Chaconne nach dem klavierbegleiteten Tschaikowski-Konzert spielte - mutmaßte ein Kritiker, der Geiger habe den Pianisten von der Bühne verbannt, weil er mit dessen Tschaikowsky-Begleitung unzufrieden gewesen wäre!
Dagegen 1941, auch das ein Sonderfall, erklang eben diese Chaconne in einem Konzert der Berliner Philharmoniker, nach Regers Mozart-Variationen und vor Dvoráks fünfter Sinfonie. Der Geiger: Gerhard Taschner, gerade Erster Konzertmeister des Orchesters geworden - mit neunzehn. Die Chaconne machte ihn berühmt. Bald nach dem Konzert bespielte er damit eine Schellackplatte, und die Philharmoniker warben mit Taschners Konterfei auf ihren Programmen: nicht mit Furtwänglers ...
Die erste CD dieser Doppel-Box ist einem typischen Taschner-Konzert nachempfunden, Händels elegant pointierte dreizehnte Sonate wird gefolgt von einer energisch, aber auch ein bisschen "deutsch" gespielten Chaconne ("Bügelfalten") und der sehr schön gezügelten, gleichwohl nicht unterkühlten Franck-Sonate. Allen mir bekannten Huberman-Aufnahmen nach zu urteilen hat der Schüler Taschner sich von seinem Lehrer emanzipiert - er klingt wesentlich "moderner", schlanker, weniger Portamento-selig und rhapsodisch-schweifend. Ein Geigenideal prägt sich hier aus, das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts "verbindlich" wurde. Nüchterner, gewiss, aber doch auch von großer Klangwärme (Larghetto bei Händel!).
Die zweite CD glänzt mit bislang unveröffentlichten Taschner-Aufnahmen, blitzsauber gespielten spanischen Schmachtfetzen - denen jetzt allerdings doch ein wenig der "Schmacht" fehlt. Taschner ist ein zu nobler Künstler, um den Rattenfänger zu geben. Dagegen bekommt es dem Tschaikowsky-Konzert sehr gut, durch Taschners Noblesse quasi wieder in den Stand der Unschuld versetzt zu werden, gereinigt von dem "Fusel", den der Kritiker Hanslick hier triefen hörte.
Noch ein Kuriosum: Diese Aufnahme - eine der schönsten des Werks überhaupt! - kam 1952 heraus mit dem Aufdruck "Fritz Malachovsky, violin; Berlin Symphony Orchestra; Joseph Balzer". Der amerikanische Produzent Eli Oberstein wollte so internationales Urheberrecht aushebeln und sich die (vermutlich Rundfunk-)Aufnahme unter den Nagel reißen. Nicht einmal der Beiheft-Texter, ein Schüler Taschners, ist sicher, ob es sich um ein authentisches Taschner-Dokument handelt. Nun, wer immer da spielt, ist einer der größten Geiger des 20. Jahrhunderts.
Thomas Rübenacker, 27.09.2001
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