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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Johannes Brahms

Diverse

Henryk Szeryng, London Symphony Orchestra, Pierre Monteux u.a.

RCA/BMG 74321 84588-2
(145 Min., 1951 - 1989) Violinkonzert: 40 Min., augenommen 1958

Im Jahre 1954 konzertierte der polnische Pianist Arthur Rubinstein in Mexico City. Nach dem Auftritt erweckte ein Landsmann, der zu ihm in die Garderobe kam, sein Interesse: Es handelte sich um den Geiger Henryk Szeryng (1918-1988), der in den 30er Jahren nach einem Studium bei Carl Flesch in Berlin eine viel versprechende Karriere begonnen hatte. In den Wirren des Zweiten Weltkriegs verschlug es ihn nach Mexico City, wo er inzwischen an der Universität unterrichtete; seine Vorkriegserfolge waren in Vergessenheit geraten, seine Konzertlaufbahn schien beendet. Doch dann kam alles ganz anders: Arthur Rubinstein ließ sich von Szeryng vorspielen und war von seinem Können so begeistert, dass er ihm ohne Umschweife zu einem Neubeginn auf höchstem Niveau verhalf, indem er seinen Impresario Sol Hurok nötigte, einfach Konzerte für ihn zu buchen.
Vier Jahre später spielte Henryk Szeryng mit dem London Symphony Orchestra unter Leitung von Pierre Monteux das Violinkonzert D-Dur op. 77 von Johannes Brahms ein; unter Szeryngs zahlreichen wundervollen Aufnahmen ist dies eine der schönsten. Szeryng knüpft mit seinem Geigenspiel an jene Tradition zauberhafter Tonschönheit und frei strömender Klangproduktion an, die man heute für weitgehend gebrochen halten könnte; jene Wärme, Klangfülle und Intensität, mit der Szeryng Brahms' Meisterwerk anzugehen vermochte, findet seither wohl kaum ihresgleichen. Gemeinsam mit dem kongenialen Pierre Monteux gelang ihm eine Interpretation, die, so meine ich, dem Stück und seinem Schöpfer vollkommen gerecht wird: Einerseits in der Romantik verwurzelt, andererseits auf Kompositionstechniken der Moderne vorausweisend, steht Brahms mit seinem Schaffen in einem Spannungsfeld zwischen poetischer Bezugnahme auf außermusikalische, oft sehr persönliche Eindrücke und sehr objektiver, rein musikimmanenter struktureller Ausgefeiltheit seiner Partituren. Letzterem Aspekt werden Szeryng und Monteux gerecht durch ihren gebündelten, äußerlich unsentimentalen Zugriff auf das Violinkonzert, basierend auf vollkommener geistiger Durchdringung der musikalischen Substanz. Gleichzeitig jedoch vermittelt vor allem Szeryng auch die - seit den Bemühungen Eduard Hanslicks, Brahms zu einer Galionsfigur der Absoluten Musik zu machen, oft verleugnete - romantische Seite der Musik auf einzigartige Weise: Glühende Leidenschaftlichkeit spricht aus jeder einzelnen Phrase, ja aus jedem Ton; bisweilen ist es kaum zu fassen, dass ein solches Maß an Aussagekraft, gepaart mit schier unfasslicher Schönheit und Vollkommenheit, 45 Jahre nach dem realen Erklingen auf elektronischem Wege immer neu erlebt werden kann.
Einige Jahre war diese Aufnahme nun nicht erhältlich; innerhalb einer Brahms-Doppelbox mit weiteren interessanten Tondokumenten kam sie 2001 zunächst in Frankreich erneut auf den Markt. Auf Anregung des Autors ist sie in dieser Form ab März 2003 auch bei uns wieder zu haben.

Michael Wersin, 01.09.2007


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