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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Diverse

Große Pianisten des 20. Jahrhunderts (Vol. 21-30)

Jorge Bolet, Bruk, Shura Cherkassky, Van Cliburn, Walter Gieseking, Friedrich Gulda, André Previn, Mark Taimanow, Rosalyn Tureck, Alexis Weissenberg

(Alle Doppel-CDs erschienen bei Philips:
Tureck (456 976-2), Gulda (456 817-2), Gieseking (456 811-2), Cliburn (456 748-2), Fleisher (456 775-2), Cherkassky (456 742-2), Bolet (456 724-2), Weissenberg (456 988-2), Previn (456 934-2), Bruk/Taimanow (456 736-2)

Mit ihren ersten zwanzig Folgen haben Tom Deacon und Gefolge ganz den unzweifelhaften Namen vertraut. Doch will man eine Überblicksdarstellung über hundert Jahre Pianistik geben, müssen eben auch die Kleineren auftreten. Über die künstlerische Reichweite eines Jorge Bolet darf, ja sollte man heute diskutieren. Auch dazu ist eine solche Serie ja da. Wessen Charme man allerdings verfällt, das sollte man sich nicht vorschreiben lassen. Dennoch, nur drei Überfiguren treten auf in der dritten Staffel: Rosalyn Tureck, Friedrich Gulda und auf der höchsten aller Wolkenetagen Walter Gieseking.
Die Wiederveröffentlichung aller sechs Bach-Partiten in Rosalyn Turecks (456 976-2) maßstabsetzender Interpretation ist die bedeutsamste editorische Leistung der Pianisten-Serie bisher. Glenn Gould, von vielen als Instanz in Sachen Bach angesehen, bekannte, dass er ohne die 1914 in Chikago geborene Tureck nicht das geworden wäre, was er dann war. Wenn es jemals gelungen sein sollte, die Strenge des Cembalospiels mit den Klangmöglichkeiten des Flügels zu verbinden, dann hier. In Oxford lebt sie und unterrichtet immer noch, Bachs Hohepriesterin.
Bei Friedrich Gulda (456 817-2) dann traute ich Augen und erst recht Ohren kaum: nur Debussy und Ravel, aus den fünfziger Jahren. Und seltsam, mit den üblichen Gulda-Klischees wie jazzig, hart, rhythmisch kommt man hier nicht weiter. Es verblüfft vielmehr ein Klangraffinement, das Gulda später doch zugunsten einer geradezu beispiellosen Gradlinigkeit zurückgedrängt hat. Faszinierend sind Ravels “Valses Nobles”: Der drängende Zug, das Vergnügen an den rhythmischen Spielen Ravels paart sich mit einem zwar zurückgetretenen, aber im subtilen Rahmen zauberhaften Klangsinn. Wie flüssiges Metall, in dem sich die Farben spiegeln. Debussys “Isle joyeuse” dann wird zur Freudenorgie, die einen aus dem Sessel hüpfen lässt.
Schließlich Walter Gieseking (456 811-2), einer der Größten überhaupt, in teilweise inkompetenter Präsentation. Die beiden Mozart-Konzerte in Moll sind schöne Beispiele einer überirdischen Beruhigtheit. Gieseking war der größte Mozart-Interpret aller Zeiten. Warum aber (schon zum x-ten Mal in der Edition) die Beethoven-Konzerte Nr. 4 und Nr. 5 kommen, ist mir unverständlich. Die Produzenten hätten wenigstens wissen müssen, dass Giesekings “Emperor” von 1944 (damals schon sensationell in Stereo!) um Klassen besser ist als die gebotene, klapprigere Karajan-Fassung. Auch der Rest mit Häppchen von Skrjabin, Schumann, Franck und Chopin wirkt ärgerlich planlos zusammengestoppelt.
Als Van Cliburn (456 748-2) 1958 als erster Amerikaner den Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb gewann, war das wie drei Jahre später, als der erste Amerikaner ins All flog: Man hatte es den Sowjets gegeben! Eine Konfetti-Parade empfing den Helden. Klavierspiel als Politikum, ein sicher einmaliger Vorgang. Doch man kann verstehen, warum die Moskauer Juroren, darunter Schostakowitsch, Cliburn mochten, den Jungrussen aus Texas. Der Live-Mitschnitt der Zweiten Rachmaninow-Sonate hat jene wilde Lauterkeit, jene magisch unbefangene Jugendlichkeit, die mit einem Ernst an dieses wüste Stück geht, der Virtuosen später dann verlorengeht. Mit Cliburn war es nicht anders, er verschwand einfach. Einen riesigen Swimmingpool hat er sich erdonnert, wie das Beiheft verrät.
Und noch ein amerikanischer Donnergott, Leon Fleisher (456 775-2). Sein Liszt-Sonaten-Gewitter ist mir zwar lieber als das, was Herr Pletnjew kürzlich fabriziert hat, aber bei ihm hört sich alles gleich kraftvoll, kantig und etwas unpoetisch an, und wenig bleibt im Gedächtnis hängen.
“Manche mögen mein Spiel, andere vielleicht nicht. Aber ich glaube nicht, dass man mich langweilig nennen kann”, sagte Shura Cherkassky (456 742-2) von sich selbst. Treffender kann man die Wirkung seines Chopin-Spiels nicht in Worte fassen. Zunächst war ich eher abgestoßen von der Rubato-Seligkeit, diesen vielen herausgepulten Mittelstimmen, die Claudio Arrau Cherkassky so übelnahm. Launenhaft wirken seine Préludes, doch je öfter man sie hört, desto bezaubernder werden sie in ihrer eigenwilligen Versponnenheit (was holt er aus dem kurzen Prélude in A an Stimmung!). Die Chopin-Etüden allerdings sind ziemlich schlecht.
Und noch einmal Chopin-Préludes, diesmal vom kubanischen Militärattaché. Jorge Bolets (456 724-2) Carnegie-Hall-Recital (1971) kommt mit Chopin und einer wüsten Sammlung von Strauß-Transkriptionen (Tausig, Schulz-Evler und wie sie alle heißen). Neben Cherkasskys etwas nebelhaften, dichterischen Panorama klingt hier alles hart, kalt, klingt nach Stahlseiten und danach, daß der Klavierstimmer nach diesem Abend zum Restaurator eines armen Instrumentes wurde.
Alexis Weissenberg (456 988-2) ist von anderem Format. Auch wenn das Wort von seiner emotionalen Unbeteiligtheit nicht grundlos umgeht, er bleibt ein phänomenaler und überraschend uneitler Virtuose. Die glasklar, irrwitzig schnell und doch unnachahmlich elegant gespielte dritte Prokofjew-Sonate zeigt, was dieser Pianist leisten kann. Auch Rachmaninow ist bei ihm immer nobel und souverän, wie mit Glacéhandschuhen gespielt.
Dass André Previn (456 934-2) so grimmig vom Cover schaut, ist nicht in Ordnung. Jubeln sollte er über seine Nominierung für diese Edition der “großen Pianisten”. Sein Gershwin-Programm tut nicht weh, aber ein Fehlgriff ist er schon.
Eine Kostbarkeit als Dreingabe und ein Trost nach einigem Verdruss: Das vergessene sowjetische Duo Bruk/Taimanow (456 736-2). Erneut, wie schon bei den Lhévinnes, fällt auf, daß im Felde der Duos damals die metrische Biegsamkeit noch so selbstverständlich war, die heute vorgeführt wird, als sei das wer weiß was. Man spielte lebendiger zu zweit damals.

Matthias Kornemann, 01.09.2007


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