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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Paul Hindemith

Ludus tonalis

Olli Mustonen

Decca 444 803-2
(1994) Komponiert: 1942, Uraufführung: 1943

Ein Spiel ist Hindemiths "Ludus tonalis" vielleicht tatsächlich - aber ein höchst ernstes. So mutet es zunächst als subtiler Witz an, dass das "Postludium", also das Nachspiel des Zyklus, aus den gleichen Notenseiten gespielt werden könnte wie das "Präludium" - zumindest wenn man die Partitur um 180 Grad gewendet buchstäblich auf den Kopf stellt. Möglich wird dies durch die Anwendung zweier kontrapunktischer Techniken: Umkehrung (jedes Aufwärtsintervall im Präludium geht im Postludium abwärts) und Krebs (die letzte Note des Präludiums ist die erste des Postludiums, die vorletzte Note die zweite usw.).
Das klingt nach leerer Kunstfertigkeit, doch Hindemiths besonderes Talent bestand ja darin, aus solchen abstrakten Vorgaben lebendige Musik zu zimmern. Und hört man den ganzen Zyklus, schließt er sich in faszinierender Weise, wenn jener toccatenhafte Lauf, der ihn eröffnet hatte, am Ende gewendet zurückkehrt. Die weltabgewandte Geste, die bewusste Unzeitgemäßheit des Werks kann man vielleicht besser verstehen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es im amerikanischen Exil entstand, nach Jahren der Anfeindung, und eine Art klingende Summe der kompositionstheoretischen Arbeit Hindemiths darstellen sollte. Das klingt unglaublich anstrengend, aber wenn man liebgewordene Vorurteile einmal vergessen kann, entdeckt man hier eine Musik, in deren Klarheit man sich wieder und wieder versenken kann, faszinierend gerade wegen des Anscheins der Geheimnislosigkeit: Fugen wie Haikus.
Olli Mustonen ist hierfür genau der richtige Weggefährte, ist er doch intelligent genug, um hinter den ausgeklügelten Kontrapunktstudien die lebendige Musik ausfindig zu machen. Diese Eigenschaft teilt er mit Siegfried Mausers Version des Zyklus (im Rahmen von dessen verdienstvoller Gesamteinspielung des Hindemith-Klavierwerks). Mustonen ist aber auch noch ein eminenter Pianist, während Mauser vielleicht doch zuerst ein eminenter Musikwissenschaftler mit hoher pianistischer Begabung ist. Diese Unterscheidung ist weder hämisch noch überflüssig, denn Hindemith ist schwerer, als er klingt (auch das ein kompositorisches Kunststück). In den schnellen Fugen ist Mustonen nicht nur, was die messbare Geschwindigkeit, sondern auch, was das auf Phrasierung und Gestaltung beruhende Tempo angeht, der klare Sieger. Aber erst im Lyrischen geht dem Hörer auf, wie tief Mustonen Hindemith verstanden hat. Ohne jede Süßlichkeit gestaltet er es mit luzidem Ton, aber zugleich zerbrechlich, kurz vor dem Verstummen.

Stefan Heßbrüggen, 01.09.2007


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