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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Mit seinem weltlichen Oratorium "Le vin herbé" (Der Zaubertrank) von 1941 hat der Schweizer Frank Martin durchaus etwas Bleibendes hinterlassen. Ansonsten begegnet man dem vielseitigen Schaffen des 1974 im Alter von 84 Jahren verstorbenen Martin kaum bis gar nicht. Das mag nicht einfach nur an einer retrospektiven Klangsprache liegen, die von der deutschen Barocktradition maßgeblich geprägt war. Obwohl Martin selbst in den 1950er Jahren Kompositionslehrer in der Nachkriegshochburg für die Neue Musik in Köln war, hielt er sich aus allen musikideologischen Grabenkämpfen heraus. Die wilden Zeiten sind zwar längst vorbei. Doch ihr Echo hat bis heute eine Art Martinrenaissance verhindert. Nicht, dass die drei jetzt eingespielten Werke wie Phoenix aus der Asche aufsteigen. Dafür ist das neoimpressionistische Flair, der neoklassizistische Zugriff und die in ihrer dezenten Bitonalität dennoch einnehmende Mentalität auf den ersten Blick allzu gegenwärtig und unspektakulär.
Dass gleichwohl die Kompositionen aus den Jahren 1962, 1968 und 1973 ganz und gar nicht reizlos sind, macht Christoph Poppen mit seiner Deutschen Radio-Philharmonie mehr als Gewinn bringend deutlich. Allen Verlockungen zum Trotz, hält sich Poppen lieber an die fein- und feinstausgeleuchteten Facetten statt an die narkotisierende Süffigkeit, die besonders in dem spätherbstlichen "Polyptyque" für Violine und Streichorchester durchaus aufflackert. Außerdem entschwebt dieses sechssätzige Werk, das den Untertitel "Sechs Bilder der Passion Christi" trägt, nicht etwa in spirituelle Sphären, sondern bekommt gerade durch das klangintensive wie intonationssichere Spiel der Solisten Muriel Cantoreggi packende Dringlichkeit. Die 1962 entstandene Orchesterbearbeitung der Orgel-"Passacaille" von 1944 hat etwas von einem strengen Tombeau, das von Ferne die klangkulinarische Opulenz eines Breitwand-Sound-Arrangeurs Leopold Stokowski in Erinnerung ruft. Das "Maria-Triptychon" für Sopran, Violine und Orchester atmet dann mit seinen drei Teilen "Ave Maria", "Magnificat" und "Stabat Mater" wieder eine bedrängende Trunkenheit, es befinden sich die Solovioline und die tief berührende Sopranistin Juliane Banse in einem hochdramatischen Seelenspannungsgeflecht. Auf diesem Niveau möchte man gerne mehr von Frank Martin kennen lernen.

Guido Fischer, 24.05.2008


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