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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Thomas Tallis

Das Gesamtwerk

Chapelle du Roi, Alistair Dixon u.a.

Brillant Classics/Foreign Media MMK93612
(1996-2004) 10 CDs, + CD-ROM

"Tallis is dead and music dies." Man kann sich heute kaum noch vorstellen, welchen Verlust der Tod von Thomas Tallis 1585 nicht nur für seinen Klage führenden Schüler William Byrd, sondern für die gesamte Musikkultur jenes politisch so schwierigen und künstlerisch so erfüllten englischen 16. Jahrhunderts bedeutete. Heute denkt man beim Namen Tallis neben Vaughan Williams‘ "Fantasia" nahezu ausschließlich an "Spem in alium", jene berühmte 40-stimmige, von acht fünfstimmigen Chören vorzutragende Motette, die zum Überwältigendsten der abendländischen Musik überhaupt zählt. Und natürlich nimmt sie (wie auch ihre posthum entstandene englische Adaption "Sing and Glorify Heaven‘s High Majesty") auch in der nun preiswert wiederveröffentlichten Gesamtaufnahme aller überlieferten Werke eine Sonderstellung ein. Aber die Box ermöglicht doch endlich auch einen Blick auf den "anderen" Tallis. Wobei die Neugier nicht nur durch die 20 kleinen, weitgehend intimen, mitunter auch skurril anmutenden Stücke für Gambenkonsort, Virginal/Cembalo, Orgel und Laute oder auch die beiden überlieferten Lautenlieder befriedigt wird als vielmehr durch das breite geistliche Schaffen, das wir Kontinentaleuropäer ebenfalls kaum kennen. Der "Gentleman of the Chapel Royal" diente unter Henry VIII., Mary I. und Elizabeth I., und sah sich jeweils mit deren religiösen Präferenzen konfrontiert, die ihn (gottlob!) zwangen, sowohl den katholisch-lateinischen wie protestantisch-anglikanischen herrscherlichen Vorgaben zu genügen.
Alistair Dixon hat sich, wie in der 75-seitigen englischen CD-ROM nachzulesen ist, mit bewundernswürdiger Akribie dem eminent vielfältigen Schaffen seines Hausheiligen gewidmet, musikwissenschaftlich wie künstlerisch. Die souveräne, abgeklärte Art, mit der seine (englische!) Chapelle du Roi das weitgehend fünfstimmige Chorwerk zu Gehör bringt – angefangen von den drei lateinischen Messen über die gut sechs Dutzend Motetten und Responsorien (unter ihnen das grandiose 17-minütige "Gaude Gloriosa") bis zu den "Lamentations of Jeremiah": In puncto Intonation und Homogenität erfüllt Alistairs Truppe alle Erwartungen, die man von einem Spitzenensemble der Insel gewohnt ist. Wobei die typisch englische: glasklare Stimmgebung kaum jemals den Eindruck von Kälte erweckt. Vielmehr erklingen die wunderbar weit geschwungenen Atembögen nicht selten wie in einen warmen Lichtstrahl getaucht. Doch Vorsicht vor zuviel "Harmonie"! In Tallis‘ vollendet polyfoner Kunst kommt es mitunter zu irritierenden Halbtonreibungen, die der komplexen linearen (imitatorischen) Stimmführung "geschuldet" sind. Dass das harmonische Wellnessbad mit diesem Strahl eiskalten Wassers aufgemischt wird, erhöht aber noch den Reiz dieser epochalen Werkschau.

Christoph Braun, 03.01.2009


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