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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Man wird leicht irre am "Tannhäuser" und seinen "Pilger"-Stationen Venusberg/Wartburg/Rom: grenzenlose (sexuelle) Freiheit, bürgerliche (Ehe-)Ordnung oder innere Askese-Einkehr – was sucht dieser "Jedermann"? Als solchen sah ihn Nikolaus Lehnhoff letzten Sommer in seiner Baden-Badener Inszenierung der erweiterten Pariser bzw. Wiener Fassung von 1875. Einiges davon steht "unversöhnt" nebeneinander: Abstrakt-Bedeutungsschwangeres wie die DNS-Doppelhelix-Treppe als Kreislauf ewigen Lebens und Ironisch-Amüsantes wie die zappelnd-kopulierenden, ganzkörperkondombehüteten Spermien oder die im Song-Contest mikrofonbewehrten, futuristisch gestylten Sängerkrieger. Stirnrunzeln auch darüber, wie diese Venus, zunächst stocksteife Reifrockkönigin, ein Quell der Lust sein sollte. Aber schon ihre Wandlung, provoziert durch Tannhäusers Freiheitsforderung, zur lasziven, dann flehenden Frau zeigt: Lehnhoff kümmert sich akribisch um seine Protagonisten, ihre Widersprüche und die Entwicklung ihrer Charaktere. Wie diese Baden-Badener Protagonisten Wagners Traum vom "Theater der Zukunft" erfüllen: "Ich will tüchtige Schauspieler, die singen können!" – das ist an der Oos packende Realität geworden (und eine Anti-Bayreuth-Realität überdies, ging die Premiere des Wieland-Wagner-Schülers doch auf Tag und Uhrzeit genau mit der Eröffnung des grünen Wolfgang-Katharina-Hügels einher). Angefangen von einer Venus alias Waltraud Meier, die einmal mehr ihrem Ruf als führende, einzigartig charismatische Wagnerheroine unserer Zeit gerecht wird, über eine herzergreifend liebende Elisabeth (glänzend disponiert: Camilla Nylund) bis zur machtvoll agierenden Männerriege mit Robert Gambill als stimmlich überzeugender wie darstellerisch aufwühlender Titelheld an der Spitze: Die Klage über den ewigen Niedergang der Wagnerstimmen kann nicht mehr ganz so laut erhoben werden. Das hat auch Philippe Jordan zu verantworten, der das DSO zu einem geradezu idealen Wagnerklangkörper modelliert. Er lässt den Sängern beste, das heißt zurückhaltende Entfaltungsmöglichkeiten, weiß aber auch mit vollem, rundem Ton aufzutrumpfen und insbesondere im Blech zu glänzen (das die horrend anspruchsvolle Wiener Fassung dutzendfach auf der Bühne verlangt). So viel Baden-Badener Wagnerglück, bejubelt von 2.500 Zeugen, sollte Bayreuths neuer Herrscherin zu denken geben.

Christoph Braun, 28.03.2009


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