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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Mit dem Tod endet das Glück. Und das bereits zu Lebzeiten. So trivial diese Denkfigur auch sein mag, so kann der Verlust eines geliebten Menschen immerhin unterschiedlich verarbeitet werden. Im Fall des in die Menschheitsgeschichte als blutrünstiger Despot eingegangenen Caligula aber schlägt Trauer in Terror um. Nach dem Tod seiner geliebten Schwester Drusilla schmeißt der berüchtigte römische Kaiser seine Vernichtungsmaschinerie an, um zumindest in seiner totalen Willkür ein Gefühl von totaler Freiheit zu erlangen. Als der französische Schriftsteller Albert Camus Mitte der Dreißigerjahre mit seinem Theaterstück "Caligula" sich über die historische Hintertür den Diktatoren seiner Zeit, Hitler und Stalin, näherte, wurde es gleichsam zu einem Versuch, sie zu erden und damit zu entdämonisieren. Und weil auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch so manche politische Schreckensgestalt ihr Unwesen treibt, mag Camus' "Caligula" für den Komponisten Detlev Glanert und seinen Librettisten Hans-Ulrich Treichel nichts an Brisanz eingebüsst haben.
In der gleichnamigen Oper Glanerts, die 2006 in Frankfurt uraufgeführt wurde, tritt die Titelfigur zunächst mit einem markerschütternden Leidensschrei aus dem scheinbar sicheren Hafen des Glücks heraus – um langsam dem Irrsinn zu verfallen. Auf dieser Strecke pflastern natürlich Leichen seinen Weg. Aber das Teuflische zeigt bei Glanert – vor allem beim stimmschauspielerisch nervenaufreibenden Bariton Ashley Holland – nicht seine eiskalte Fratze. Es ist ein schon fast anteilnehmendes Porträt, bei dem Caligula sogar mitfühlend den Mond anheulen darf. Und auch hier erweist sich der Henze-Schüler Glanert in seiner siebten Oper als handwerklich exzellenter und aufwühlender Musikpsychologe. Trotz so mancher Rückbezüge auf die schauerlich-schizophrene Klangsprache Gustav Mahlers oder gar auf das Wagner'sche Weltuntergangsgetöse bleibt Glanert Herr der Lage. Und das von Markus Stenz geleitete Frankfurter Opern- und Museumsorchester weiß genau dort dagegenzuhalten, wo das Melodienselige schnell in pathetische Süffigkeit umschlagen könnte. "Die Menschen sterben und sind nicht glücklich", lautet ein immer wiederkehrender Satz bei Camus und in Glanerts "Caligula". Dass zumindest die Kunst und speziell die Oper dann doch immer noch ein Trostpflaster sein kann, dokumentiert der Livemitschnitt von der Premiere.

Guido Fischer, 17.07.2010


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