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N° 1354
20. - 29.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Rolf Riehm

Orchesterwerke

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

Telos Records 128
(63 Min., 10/1989, 10/1998, 3/2007)

Der Titel mutet mindestens poetisch, wenn nicht sogar irritierend an. "Die Tränen des Gletschers" hat der Komponist Rolf Riehm sein 1998 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführtes Orchesterstück genannt. Ein Gletscher, der weint? Zwanzig Minuten lang? Was als Bild-Vorstellung kaum glaubwürdig erscheint, wird durch die Musik Riehms doch noch, und das auf höchst raffinierte Weise, verständlich. In weit gespannten Amplituden bewegt sich der spitz geschärfte Klang durch den imaginären, in vierzehn Zellen aufgeteilten Raum. Mal stürzt er ab, mal diffundiert und zerfließt er; mal schraubt er sich in grell gefärbten Glissandi in höchste (Flageolett-)Höhen hinauf, mal (und das ganz plötzlich) verschwindet er (wie ein Bergsteiger in einer Gletscherspalte), um schließlich, als eine leise Erinnerung, zersplittert und mikrotonal, wehmütig wie von ferne zu tönen; mal steht er als riesenhafter dissonanter Block sperrig in der Welt. Ein extremes Stück der extremen (auch instrumentalen) Kontraste (mit dem Hang zum Dämonisch-Katastrophischen) ist Riehm da gelungen, hochgradig expressiv (und expressionistisch angeweht), zugleich elegisch-skeptisch gestimmt. Nun liegt es endlich auch auf CD vor. Und hat in Hans Zender und dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg herausragende Interpreten gefunden. Mit einer (sprichwörtlich) bestechenden Präzision wird das Material seziert; als Klangergebnis erscheint es jedoch nicht monadologisch, sondern als Teil des großen Ganzen der die Einzelabschnitte überwölbenden hermetischen Form. Das gilt in gleichem Maße für das zweite, ebenfalls von Zender dirigierte Werk der Aufnahme, "Nuages immortels oder Focusing on Solos (Medea in Avignon)" von 2001. Auch hier arbeitet Riehm mit (zumal dynamisch) herben Gegensätzen, und auch hier löst er das Statuarische auf in verschiedene solistische Episoden. Immerhin: In das Schwarz-Weiß-Muster der "Tränen" mischen sich einige andere Farben, lyrisch-melodische Floskeln; der Grundtonfall indes bleibt düster. Und hellt sich in "Berceuse" (1984/85) als Fundament einer darauf wild wuchernden und kaleidoskopischen Klangsprache spürbar auf – was die von Michael Gielen, Carmen-Maria Cârneci und Tobias Wahren geleitete Wiedergabe nuancenreich und nachgerade luzide verdeutlicht.

Jürgen Otten, 20.11.2010


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