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N° 1354
20. - 29.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Charles Koechlin

Klavierwerke Vol. 3

Michael Korstick

Hännsler Classic/Naxos 93.261
(77 Min., 11/2009)

„... des horizons lointains ...“, ferne Horizonte, ist der dritte Teil von Michael Korsticks Gesamteinspielung des Klavierwerks von Charles Koechlin überschrieben. Kein Werktitel des Franzosen, nur der Versuch, einer sich rätselhaft aller Einordnung entziehenden Musik einen thematischen Schleier überzuwerfen. In den "Zwölf Miniaturen op. 124", in denen Koechlin uns in "Das alte Landhaus" seiner Jugend führt, greift er mit der Unbefangenheit eines Kindes in die Kiste der Stile, wie es nur ein weltabgewandter Meister tun konnte, der den Gedanken an Einheitlichkeit allzu gern den Gesetzen seiner Erinnerung unterwirft. Denkt er 1923 daran, wie er im "Unvergeßlichen Sommer 1882" ein altes Album aus noch fernerer Vergangenheit – 1830 – mit vergilbten Einladungskarten durchblättert, blickt auch der Komponist tief in der Musikgeschichte. Diese Kunst scheint durch ernste Kinderaugen staunend den fernen Klang jenseits der eigenen Erinnerungshorizonte aufzuspüren. Das ist zuweilen pasticciohaft, zuweilen sentimental, aber unter den Händen Michael Korsticks immer wahr, weil er auf alles Pointieren und Ironisieren verzichtet. Er nimmt diese Empfindungswelt ernst. Darum spürt man so eindringlich, wie mit der Nr. 6, dem "Alten Brunnen", einem harmonisch überaus gewagten, experimentellen Stück, der behagliche Boden förmlich aufbricht – es ist der kindliche Schrecken vor der zukünftigen Welt jenseits der bunten Jugendzimmer-Tapeten. Und nun ist nichts mehr, wie es war. Nach dem Blick in den Brunnen, in dessen Tiefe sich Unendlichkeit spiegelt, liegt ein eigenartiger Schatten von Abschied über den letzten Reminiszenzen dieses Zyklus', so als spiegele das musikalische Vergehen der Ferienwochen – und das ist für Kinder eine kleine Tragödie – das ganze Drama des Alterns. Was für eine facettenreiche Miniaturenkunst! Ein ganz anderes, spätromantisch-weltmännisches Gesicht zeigt uns Koechlin im hier erstmals eingespielten "Andante con moto" (1896), in dem er eigentümlich sicher jenen Stil vorausahnt, dem die unendlich verdämmernde Spätromantik – gerade in England – noch ein halbes Jahrhundert anhängen wird. Koechlins Klaviermusik gleicht einem zerbrochenen Spiegel. In jedem seiner Fragmente erblickt man ein eigentümlich vertrautes und doch auch verfremdetes Stück europäischer Klaviermusikgeschichte, und Korsticks pianistische Palette vermag diesen Facettenreichtum auch wiederzugeben. Was für ein Glück, wenn sich Musiker solchen Ranges dieser vergessenen Kostbarkeiten annehmen.

Matthias Kornemann, 08.01.2011


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