Oehms/harmonia mundi OC 823
(77 Min., 9/2010)
Seit Gerald Moores großartigem Wirken als Liedbegleiter ist dieses Geschäft ein ungleich anerkannteres als zuvor; der Mann am Klavier ist gleichberechtigter Partner des Sängers, nicht mehr namenlos-grauer Klangteppichleger im Hintergrund. Und das ist natürlich gut so, denn Liedkomponisten von Rang haben seit jeher für ein Kammermusik-Duo, nicht für einen Gesangsprotz mit Hintergrundmusik komponiert. Genaugenommen handelt es sich also nicht um eine Aufwertung, sondern um eine Rehabilitation des Klavierpartners. Weil der Pianist heutzutage also mehr im Rampenlicht steht als noch vor fünfzig Jahren, wird ihm natürlich auch mehr an Können abverlangt: Gute Liedbegleiter sind heutzutage nicht mehr Korrepetitoren, sondern vollwertige Pianisten, die technisch und gestalterisch einiges auf die Waage bringen.
Zu dieser interessanten Spezies gehört an vorderster Front auch Helmut Deutsch, und daher verwundert es nicht, wenn Michael Volle im Beiheft-Interview bekennt, dass er sich an Deutsch gewandt hat mit der Frage, ob dieser ihn begleiten würde. Deutsch bejahte zur Freude Volles und brachte auch gleich einen für Volle zunächst etwas unbequemen Repertoire-Vorschlag ein: Lieder von Hermann Reutter (1900-1985). Man darf sagen, dass dessen drei auf dieser CD vertretene Gesänge, die ebenso kraftvoll und rau wie höchst lyrisch und geheimnisvoll daherkommen, dem Programm sehr gut tun. Dieses Programm beginnt übrigens – auch dies keineswegs alltäglich – mit Schuberts 23 Minuten langer Vertonung von Schillers "Taucher", dessen Wiedergabe sowohl dem stark am Operngesang geschulten Volle wie auch dem pianistische Herausforderungen liebenden Deutsch hörbar große Freude bereiten.
Es folgen Wolf und Strauss, und zwar im Falle von Wolf mit Liedern nach Mörike-Texten recht bekanntes, im Falle von Strauss' op. 87 nach Rückert recht selten zu hörendes Repertoire. Alles in allem eine sehr gute und ansprechende Mischung, die von Helmut Deutsch bravourös, von Michael Volle hier und da noch ein ganz klein wenig – Verzeihung! – wie Deutschs Meisterschüler interpretatorisch umgesetzt wird. Das soll keine Herabwürdigung sein, hat doch Volle als einzigartiges Kapital seine wunderschöne, durchaus modulationsfähige Baritonstimme und dazu stimmlich-intellektuell einen sehr guten Zugriff auf die Texte. Aber man bemerkt auch an allen Ecken und Enden des Sängers unverstellte Faszination über das, was der Pianist zu zaubern in der Lage ist. Dass Volle, der gestandene Bühnenkünstler von Format, sich mit solcher Begeisterung von Deutsch mitreißen lässt, spricht absolut für ihn und für diese CD: Solch unprätentiöse Weiterbildungsbereitschaft und Entdeckerfreude sind alles andere als selbstverständlich.
Michael Wersin, 28.05.2011
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