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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Eugène Ysaÿe

Sechs Sonaten für Solo-Violine op. 27

Tai Murray

harmonia mundi HMU 907569
(69 Min., 3/2011)

Zu den Geigen-Lehrern der Amerikanerin Tai Murray gehörte Yuval Yaron. Yaron war Schüler von Josef Gingold, und dieser wiederum hatte noch bei Eugène Ysaÿe studiert. Wie inspirierend dessen Geist aus der zeitlichen Ferne tatsächlich für Murray gewesen ist, als sie seine sechs Solo-Sonaten aufgenommen hat, ist angesichts fehlender Vergleichsaufnahmen vom Belgier nicht mehr zu klären. Wenn man sich aber zumindest die wenigen Tondokumente Ysaÿes vergegenwärtigt, auf denen er sein technisches Können in den Dienst der Schönheit und Tiefe stellte, dann scheint Murray ihm darin jetzt ziemlich ebenbürtig zu sein. Dass Murray jedoch eine (beeindruckende) Musikerin ist, die nicht im Nostalgischen schwelgt, sondern im 21. Jahrhundert lebt, zeigt sie eindringlich in der vielleicht berühmtesten Sonate aus dem Sechserpack. Es ist die Zweite, in der Ysaÿe einfach nicht von dem großen Vorbild Johann Sebastian Bach und speziell dessen E-Dur-Partita loskommt (das Booklet hat diese Partita eben mal nach e-Moll transponiert). Murray versteht das ständige Aufflackern von Bach-Zitaten aber nicht etwa eindimensional und oberflächlich als Reverenz. Bei ihr verwandelt sich der Eröffnungssatz mit seinen Klangerinnerungssplittern und der hereinbrechenden Stille vielmehr in eine ultra-moderne Collage. So sehr Murray das Doppelbödige mit expressivem Furor und motorisch packender Energie inszeniert, so kann sie dann auf einen Schlag jede Komplexität hinter sich lassen – und sich ganz in sich ruhenden Wunderwelten widmen, wie dem schlichten „Danse des ombres“, dem Murray mit einnehmender Noblesse und Empfindsamkeit begegnet.
Überhaupt erweisen sich ihr spieltechnisches Rüstzeug und ihre reiche Ausdruckspalette als idealer Schlüssel für dieses Solo-Konvolut, in dem es nur so vor Überraschungen, Stimmungsschwankungen und Brüchen wimmelt. Zwischen Neo-Barock und gespreizter Spätromantik, zwischen ländlichem Charme, paganinieskem Schwung und impressionistischen Einfärbungen bewegen sich die Sonaten. Und jede Nuance, jedes Idiom und jeder noch so verdichtete Stimmenverlauf ist bei Murray in den besten Händen. Denn wie ihre deutsche Kollegin Isabelle Faust versteht sie es, ihren hellwach arbeitenden Kopf glänzend mit dem pulsierenden Herzen kurzzuschließen.

Guido Fischer, 14.04.2012


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