Fra Bernardo/Note 1 FB 1302202
(108 Min.)
Schon im März weckte eine CD von „The Sound and the Fury“ die Verwunderung des Rezensenten, weil sich dafür eine Reihe erfahrener Ensemblesänger zu einer nicht besonders niveauvollen Einspielung von seltenst zu hörenden Messen Firminius Carons zusammengefunden hatten. Die Verwunderung steigerte sich zunächst noch bei Inaugenscheinnahme des vorliegenden Produkts: Zwei der verzwicktesten Messen Johannes Ockeghems stehen auf dem Programm, wiederum besteht das Ensemble aus bekannten Sängern wie Michael Mantaj, John Potter oder Hans Jörg Mammel – aber das zu hörende Endergebnis fällt diesmal noch deutlich schlechter aus: Mantaj und Mammel sind zumindest am Anfang des Programms hinsichtlich ihrer Stimmlage falsch besetzt; beide drücken sich wenig klangvoll in tiefer Bass- bzw. Baritonlage herum. Auch im „Diskant“-Bereich gibt es Probleme: Die oberste Stimme ist gekennzeichnet durch den unverwechselbaren Sound einer angespannten Zungenwurzel (kurz gesagt: Es knödelt), und auch die Tenorlage tönt selten so, als hätten sich die Sänger wirklich wohlgefühlt. Unter alldem leiden die Intonation und der Zusammenklang schwer, bis hin zur Groteske. Und das bei diesem Programm: Ockeghems „Missa cuiusvis toni“ wurde vom Komponisten so konzipiert, dass sie (kurz gesagt) in mehreren Kirchentonarten gesungen werden kann und sich dabei aufgrund der jeweils veränderten melodischen Intervallstruktur stets mit ganz individuellem Charakter präsentiert. Für diese Produktion wurde eigens ein Musikwissenschaftler beauftragt, der die unterschiedlichen Versionen ausgearbeitet und in moderner Notation festgelegt hat; die handgeschriebenen Partituren sind sogar auf einer CD-ROM beigelegt! Eine editorische Meisterleistung, über die sich jeder Ockeghem-Begeisterte freuen wird – aber warum misslang die Aufnahme so schrecklich?
Die überraschende Antwort: Hinter „The Sound and the Fury“ steht ein wohlhabender Mäzen, der mit diesen Aktionen Teile seiner riesigen Musiksammlung zum Erklingen bringen will. Erfahrene Sänger werden engagiert, Konzerte werden gegeben und mitgeschnitten – aber geprobt wird kaum dafür. Das ist unbegreiflich und schade, denn mit ein wenig mehr Aufwand könnte man unter diesen Voraussetzungen zumindest Solides produzieren. Eine Chance wird vertan.
Michael Wersin, 29.06.2013
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