Auch der Jazz hat seine Kunstlieder. Und eine großartige Sängerin, bei der beschwingte, swingende Lockerheit, Intonationssicherheit und ein wunderbares Gespür für Nuancen in Dynamik und Klangfarbe zusammen kommen. Ein zarter Atemhauch kann ihre Töne begleiten. Aber sie können auch stark und muskulös daherkommen. Oder weich, anschmiegsam, sanft. Mit dieser immensen Ausdrucksskala verzaubert Norma Winstone, Britin, Jahrgang 1941, die Hörer schon seit Jahrzehnten – und nun noch einmal ganz besonders. Denn die dreizehn Lieder auf „Dance Without Answer“ zählen zum Feinsten, das in diesem Genre jemals aufgenommen wurde.
Wie schon auf den Alben „Chamber Music“, „Distances“ und „Stories Yet To Tell“ sind ihr auch diesmal zurückhaltende, hochmusikalische Partner zur Seite gestanden, die ihre Stimme meist zu zweit, manchmal aber auch allein ergänzen. Da ist kein Ton zu viel, und trotz aller Konzentration und Sparsamkeit wirkt jeder Song rund, stimmig und ausreichend instrumentiert. Traumhaft umgarnen Klaus Gesing – meist auf dem Sopransaxofon – und der Pianist Glauco Venier ihre Stimme, und manchmal mengt Gesing auch aus dem Dunkeln herrliche, manchmal auch im Stakkato vibrierende Bassklarinettenklänge hinzu.
Das hat Klasse, das geht ans Herz, zumal alle drei die Gabe haben, jede Tonbewegung als Melodie zu gestalten – melancholisch, drängend, zögernd, zurückhaltend: eben so, wie es den überwiegend von Winstone verfassten Texten und Themen entspricht. Wenn sie zwischendurch auch auf Fremdes zurückgreift – etwa den Latinklassiker „Cucurrucucu Paloma“, Madonnas „Live To Tell“, Nick Drakes „Time Of No Reply“ oder Tom Waits‘ „San Diego Serenade“ –, dann eignet sie sich dieses so sensibel an, dass es sich unauffällig und harmonisch in das Gesamtkonzept der Liederstunde einfügt. „I know where beauty lives“, heißt es in dem Madonna-Song. Für Norma Winstones Trio gilt dies uneingeschränkt.
Werner Stiefele, 25.01.2014
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