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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Johann Sebastian Bach

„Ich elender Mensch“ – Leipziger Kantaten

Collegium Vocale Gent, Philippe Herreweghe

PHI/Note 1 LPH012
(68 Min., 1 & 2/2013)

Wie man Bachs geistliche Vokalmusik in historisierender Praxis mit leichter Hand, quasi mühelos musiziert, zeigt uns seit längerer Zeit Philippe Herreweghe mit seinem „Collegium Vocale Gent“. Prominentes Beispiel war schon seine jüngste Aufnahme der Messe h-Moll beim Eigenlabel „PHI“: Es entfaltet sich vor den Ohren des Hörers ein Klangbild von solcher Ausgewogenheit und Homogenität, dass man ebenjenen Ohren gelegentlich kaum traut. Denn es erstaunen ja nicht nur die genannten gesamtklanglichen Parameter, sondern auch das perfekt aufeinander abgestimmte Timing aller Mitwirkenden, die geradezu vollkommene Artikulation und organische Dynamik, das Einrasten kleiner agogischer Effekte. Und all dies, obwohl Herreweghe ja bekanntermaßen nicht gerade ein Taktstock-Virtuose mit der präzisen Schlagtechnik eines Maazel oder Kleiber ist. Nun ja, freilich sind hier einige der allerbesten Sänger und Instrumentalisten ihres Fachs versammelt: Wer Dorothee Mields und Damien Guillon, wer Christine Busch und Ageet Zweistra mit schöner Regelmäßigkeit gemeinsam in einen Saal bringt, der muss sich um so manches nicht mehr viele Sorgen machen.
Und dennoch überrascht die unglaubliche Mühelosigkeit, mit der hier etwa vier Kantaten aus Bachs erstem Leipziger Jahrgang musiziert werden: Wie Butter spielt die Trompete einen Choral zeilenweise ins polyphone Geflecht des Eingangschores, nahtlos wechseln in einem Rezitativ die begleitenden Streicher plötzlich zum vollkommen einheitlichen Pizzicato, das Totenglocken versinnbildlicht. Ohne jeden Makel und bestechend diktionsnah zelebriert der aus zwölf Leuten (historisch richtig mit den Solisten an der Spitze) bestehende Chor die herrlich geschmeidigen Choralsätze Bachs. Betörend samtig weich harmonieren im Orchester die Holzbläser miteinander. Fast wünscht man sich hier und da mal einen glucksenden Altus, eine klappernde Oboe oder einen leicht angekratzten Geigenton zurück – von Pioniergeist und Herausforderung ist hier nichts mehr zu hören, diese Bach-Spielpraxis ist mitten ihm Mainstream angekommen. So hat des großen Thomaskantors Musik noch niemals geklungen – mit Sicherheit und vor allem nicht zu seinen Lebzeiten. Wir genießen und sind dennoch nachdenklich.

Michael Wersin, 28.06.2014


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