Jeder hat seine Vorbilder. Der in Berlin lebende Posaunist Samuel Blaser erweist dem Ahnvater der modernen Jazzposaune die Ehre: Sein Spiel in „Missing Mark Suetterlyn“ erinnert über weite Passa-gen an die Multiphonics von Albert Mangelsdorff, der einst auf dem Soloalbum „Trombirds“ den Titel „Introducing Marc Suetterlyn“ eingespielt hatte. Auch die Begleitung passt: Der Bassist Drew Gress, der Schlagzeuger Gerald Cleaver und Russ Lossing an elektronischen Keyboards sorgen für eine ähnlich weiträumige Umgebung, wie sie auch Mangelsdorff geschätzt hat. Obwohl auch die Solonummer „Trippin‘“ von Mangelsdorffs mehrstimmigem Spiel beeinflusst ist, wäre es falsch, den gebürtigen Schweizer zu einem Nachfolger des Frankfurters zu erklären. Sein Ton ist oft fülliger, und seine Melodieführung weniger sprunghaft. Zudem schwingen bei Blaser stärkere Einflüsse der klassischen Posaune mit, während ihn und Mangelsdorff eine gewisse Distanz zu den Growlsounds der Ellington-Posaunisten und zur Eleganz der Frank-Rosolino-Schule verbindet.
All dies ist die Grundlage eines eigenen Sounds aus weichen und kräftigen Komponenten. Drei Titel hat Blaser aus dem Repertoire des Saxofonisten und Klarinettisten Jimmy Giuffre übernommen – aber auch hier kopiert er nicht, sondern interpretiert dessen cooles Spiel im impulsiveren Gesamt-konzept seines Quartetts neu. Freiräume, fließende Tempi und ein Denken in weiten Räumen prägt dieses Ensemble. Sie lassen sich Zeit, sie setzen sich über das Gerüst von Taktstrukturen hinweg, sie kontrastieren Melodien und Klangtupfer, entwickeln Gedanken der Kollegen zurück-haltend weiter und zaubern aus dem Nichts facettenreiche Tongemälde. Die zwölf Stücke verbinden die Freiheit der Improvisation mit einer tiefen, fast meditativen Gelassenheit.

Werner Stiefele, 02.05.2015

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