Soli Deo Gloria/harmonia mundi SDG722
(106 Min., 3/2015) 2 CDs
Es ist kein Wohlfühl-Bach, den John Eliot Gardiner hier präsentiert. Man braucht auch als Kenner des Werks eine gewisse Einhörzeit, um einen Zugang zu finden zum Spätstil dieses bedeutenden Bachinterpreten, der mittlerweile ja schon ein Anfangssiebziger ist. Bei der ersten Runde der Einspielungen großer Bach-Werke in den Achtzigerjahren hörten wir neben aller Liebe zum Detail doch auch einen Hang zum Wohlklang, vielleicht „trotz“ historisierender Praxis: Wer könnte Michael Chances „Agnus Dei“ in der Archivproduktion-Einspielung an Schönheit übertreffen?
Äußerlichkeiten dieser Art – das konnten wir schon 2000 ff. in den Einspielungen der Cantata-Pilgrimage feststellen – sind dem gereiften Gardiner nicht mehr so wichtig. Und hierdurch unterscheidet er sich im Übrigen auch fundamental vom späten Herreweghe, der immer glatter und glatter wird. Gardiner lässt im Gegensatz dazu geradezu ruppig artikulieren: Die Dreiklangsbrechungen in der Kyrie-Einleitung erklingen non legato, das Thema der ersten Kyrie-Fuge ist ebenso streng und fast statisch durchartikuliert wie das der zweiten, welch letztere auch noch (ob es sich um eine Live-Produktion handelt, können wir nicht erkennen) mit einem recht ruppigen und inhomogenen Männerstimmen-Einsatz beginnt. Gezaubert wird später: Die „Pax“-Stelle im ersten Gloria-Satz ist eines der kleinen Wunder dieser Version (Gardiner weist im Beiheft auf Bachs späte Kriegserfahrungen mit dem Schlesischen Krieg von 1745 hin), und auch im „Gratias“ gibt es himmlische Momente.
Was Gardiner offenbar nicht kümmerte, sind die jüngeren quellenkritischen Ausgaben der Messe: Lombardische Rhythmen im „Domine Deus“, wie die Dresdner Stimmen sie aufweisen, hören wir nicht. Dafür erleben wir im Anschluss an dieses Duett eine hochinspirierte Version des „Qui tollis“, mit rauer Oberfläche und aufgewühltem Innenleben. Das „Qui sedes“ schließt attacca an – ist Gardiner auch auf den Gedanken gekommen, dass Bach beim Parodieren seiner frühen Kantatensätze, die in die h-Moll-Messe eingeflossen sind, eine Art stringente Dramatisierung des musikalisch-textlichen Geschehens im Sinn hatte? Es gibt viel zu entdecken in dieser unbequemen h-Moll-Messe, in der die Musiker übrigens auch so viel verzieren dürfen wie niemals zuvor. Gardiner entwickelt sich weiter – bleiben wir dran …
Michael Wersin, 12.12.2015
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