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N° 1354
20.04. - 01.05.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Andando el Tiempo

Carla Bley

ECM/Universal 4779711
(47 Min., 11/2015)

Jetzt ist Carla Bley, eine der faszinierendsten und zugleich einflussreichsten Frauen des Jazz, nach ihren eigenen Angaben 80 geworden. Schon als ganz junge Frau sah sie sich zu 1% als Pianistin und zu 99% als Komponistin. Ihr damaliger Therapeut wollte ihr diese „Wahnvorstellung“ mit einer Elektroschockbehandlung austreiben, doch zum Glück blieb sie ihrer Besessenheit treu, und so verdankt ihr der Jazz epochale großorchestrale Werke. Mit ihrem Lebenspartner der letzten Jahrzehnte, dem E-Bassisten Steve Swallow, und dem 59-jährigen britischen Saxofonisten Andy Sheppard unterhält sie seit zwanzig Jahren ein Trio, mit dem sie nach ihren eigenen Worten die Herausforderung pflegt, eigentlich für Großbesetzung gedachte Musik in Minimalbesetzung zu realisieren. Klarheit ist dabei ein ganz entscheidendes Mittel. Niemand hat einen so entschieden klaren Ton auf dem E-Bass, völlig losgelöst von fettem Pumpenstampfen, wie Swallow. Sheppard pflegt auf dem Sopran wie auf dem Tenor einen Ton, der Farbigkeit dem Diskurs unterordnet. Die Frau am Klavier mag mitunter enigmatisch staksige Akkorde drücken, doch immer sind sie und die manchmal etwas verwinkelten Läufe von transparenter Entschiedenheit und fügen sich in die sich verschränkenden Linien der anderen, hinter denen stets die kompositorische Handschrift zu erkennen bleibt. Auf ihrem neuesten Album ist das Bley-Trio mit programmatischer Musik zu hören: Die dreiteilige Titel-Suite beschäftigt sich mit drei Phasen der Überwindung einer Drogensucht und ist von entsprechend melancholischer Schönheit, die durch gewitzte Abstraktionen vor süffigem Selbstmitleid gerettet wird. Eine musikalische Parodie auf deftigen Old Ladies Klatsch ist von typisch Bley’schem, mild sarkastischem Humor, und zum Abschluss kommt schließlich eine längere Hochzeitssuite für Andy Sheppard zu Gehör, die sich kurz und diskret vor Mendelssohn verneigt. Ein weises Alterswerk hat uns die Bley da beschert, das bei jedem Hören tiefschichtiger und raffinierter wird.

Thomas Fitterling, 21.05.2016


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