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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Lothar de Maizière

Versteht Angela Merkel etwas von Musik?

Er war der erste und der letzte frei gewählte Ministerpräsident der DDR und später auch noch kurz Minister in Bonn. Doch was nur wenige wissen: Lothar de Maizière begann seinen Berufsweg als Bratscher in verschiedenen Orchestern. Mit Robert Fraunholzer sprach er über Politik als Kammermusik, Simon Rattles Kontrollzwang und seinen Hass auf Carl Czerny.

RONDO: Herr de Maizière, Ihre Musikbegeisterung kann man schon an Ihrem Auto-Nummernschild ablesen.

Lothar de Maizière: Stimmt. »B – KV 516«, das bedeutet Mozarts großes Streichquintett in g-Moll.

RONDO: War das Nummernschild teuer?

de Maizière: Ich habe einfach der Zulassungsstelle gesagt, ich möchte eine Köchelverzeichnis-Nummer unter KV 626. Das ist das »Requiem«. Die späteren Werke hat Mozart ja im Himmel komponiert. Vorher hatte ich übrigens KV 492. Das ist die »Hochzeit des Figaro«.

RONDO: Sie waren, bevor Sie Politiker wurden, Bratscher beim Rundfunk- Sinfonieorchester Berlin. Bis 1975, dann sind Sie Anwalt geworden.

de Maizière: Ich habe unter den Chefdirigenten Rolf Kleinert und Helmut Koch gespielt. Man sagte damals: »Lieber gekocht als gekleinert.« Bei mir hatte sich aber relativ früh eine chronische Nervenentzündung im linken Arm gezeigt. Ein Arbeitsmediziner sagte mir: »Ihr Arm hält noch fünf bis zehn Jahre, aber bis zur Rente nicht.« Meine Mutter hatte Musik studiert. Mein Vater war aber Jurist. Also sagte ich mir: Den ersten Teil deines Lebens bist du deiner Mutter hinterhergelaufen. Jetzt ist der Vater dran. Er hatte mir immer schon prophezeit, ich lande als Stehgeiger in einem Kaffeehaus.

RONDO: Müssen Sie heute oft Bratscherwitze erzählen?

de Maizière: Ja. Aber es gibt ja eigentlich keine Bratscherwitze. Sie sind alle wahr. Wer als Nicht-Bratscher einen solchen Witz von mir verlangt, dem sage ich allerdings: »Das ist der Neid der Besitzlosen.« Ich tröste mich, dass sogar Bach es vorgezogen hat, Bratsche zu spielen.

RONDO: Beruflich war Musik Ihre erste Wahl, Jurist kam erst hinterher. Politiker aber war für Sie offenbar dritte Wahl.

de Maizière: Ich gebe gut gelaunt zu: Mein beruflicher Werdegang war ein einziger Abstieg – vom Musiker zum Anwalt und dann zum Politiker. Ich rappele mich aber, wie Sie sehen, langsam wieder hoch.

RONDO: Gibt es für Sie einen Zusammenhang zwischen Politik und Musik?

de Maizière: Ja, es gibt sogar einen Zusammenhang zwischen Musik und Juristerei. Wenn man im Plädoyer eines Strafprozesses einen Freispruch erzielen will, dann ist die »Rondo«-Form dafür am besten. Man muss den Leuten immer wieder sagen, worum es geht. Wenn jemand dagegen wirklich schuldig geworden ist, kommt man mit einer Sonatenhauptsatzform eigentlich besser davon. Aber: Der ärmste Vergleich ist besser als der fetteste Prozess. Als Anwalt stellt man gestörte Äquivalenz-Verhältnisse nach Möglichkeit wieder her.

RONDO: Welche Politiker spielen noch klassische Instrumente?

de Maizière: Wolfgang Schäuble spielt ziemlich gewandt Geige. Nach dem Attentat, welches er immer »Unfall« nennt, hatte er wohl zunächst Schwierigkeiten, im Rollstuhl das Gleichgewicht zu finden – und er hat dann mit Hilfe der Geige erhebliche Fortschritte erzielt. In einem Streichquartett spielen, wie ich es tue, lehnt er aber ab. Christian Schwarz-Schilling spielt gut Klavier. Christoph Stölzl hat früher am E-Bass gestanden. Frau Steinbach vom Bund der Vertriebenen kann Geige. Aber das war’s auch schon fast. Wir sind Ausnahmen.

RONDO: Ist ein beruflicher Umweg wie bei Ihnen typisch für einen Politiker?

de Maizière: Nein, ich bin 1989 eher als Gegenteil eines Politikers in die Politik gekommen. Mir war auch klar, dass das nicht mein Lebensberuf ist. Ich möchte nicht auf Dauer ein öffentlicher Mensch sein. Dann habe ich auch gemerkt, wie es ist, von der Politik abhängig zu sein. Es gibt Dinge wie den Fraktionszwang. Außerdem blieb, als ich stellvertretender Vorsitzender der CDU war, neben einem Mann wie Helmut Kohl naturgemäß nicht viel Platz.

RONDO: Haben Sie Zweifel am Politiker überhaupt?

de Maizière: Eher am Politikgeschäft. Zu viele Entscheidungen werden in kleinen Klüngelrunden getroffen. Aber es gibt immer noch außerordentlich ernsthafte Leute in der Politik – mit hohem analytischen Verstand. Ich halte Wolfgang Schäuble oder auch Egon Bahr für bedeutende deutsche Politiker. Es gibt aber auch andere.

»West-Berlin als »Subventionopolis« war ein geschlossener Klüngel. Und Ost-Berlin, obwohl Hauptstadt, war eben auch höchstens ein halber Erfolg.«

RONDO: Hat ein Musiker in der Politik Vorteile?

de Maizière: Der Musiker handelt in der Politik möglicherweise ergebnisorientierter, während Historiker eher darauf achten, dass es im Geschichtsbuch gut aussieht. Als ich noch Politik gemacht habe, wurde mir eine Fähigkeit zum Integrieren nachgesagt, und die lernt man zum Beispiel in der Kammermusik. So wie man es einem Ensemble anmerkt, ob sich die einzelnen Musiker durchsetzen wollen oder ob sie gemeinsam am Werk sind. Ähnlich unterscheiden Orchestermusiker ja auch bei den Dirigenten zwischen »Diktatoren« und »Kollegen«. Die besten Dirigenten sind die, die den Musikern Freiräume geben.

RONDO: Das sind dann Dirigenten, die den Musikern beim Einsatz das Gefühl vermitteln: Jetzt kommst Du!

de Maizière: Ja, genau das, was Simon Rattle meiner Meinung nach nicht so gut kann. Ich teile die unkritische Begeisterung für Herrn Rattle nicht. Er musiziert immer mit Überdruck und mit dem Hang, alles bis ins Kleinste überwachen und kontrollieren zu wollen. Andere Dinge wie die Jugend- und Zukunftsarbeit sind gewiss großartig. Meine Frau war von Rattles Großer C-Dur-Sinfonie von Schubert begeistert. Da habe ich ihr gesagt: »Jetzt hören wir mal Furtwängler auf CD.« Da meinte sie, dass es ja zwei ganz unterschiedliche Stücke seien.

RONDO: Wie hat sich die Musikszene in Ihren Augen verändert?

de Maizière: Man merkt erst jetzt, dass die beiden Berlins früher noch kein Berlin waren. West-Berlin als »Subventionopolis« war ein geschlossener Klüngel. Und Ost-Berlin, obwohl Hauptstadt, war eben auch höchstens ein halber Erfolg. Berlin hat sich nach der Wende schwergetan, die Vielzahl der Orchester zu halten. Man sieht aber, dass ihr volkswirtschaftlicher Nutzen erheblich ist, weil die Leute wegen der Musik in die Stadt kommen. Auch die drei Opernhäuser bekommen Berlin eigentlich gut – wenn es nur mehr Abstimmung unter ihnen gäbe. Auf der Strecke geblieben ist vor allem das Kabarett. Kabarett existiert nur in einer Unterdrückungssituation. Gute Witze gibt es eigentlich nur in einer Diktatur.

RONDO: Im Ernst?

de Maizière: Ein ungarischer Autor hat ein schönes Buch mit dem Titel herausgebracht: »Das Ende des Ostblock-Witzes«. Im Vorwort schreibt er sehr richtig, der herbste Verlust bestünde darin, dass es keine anständigen Witze mehr gibt.

RONDO: Vermissen Sie heute Ihren Politikerberuf?

de Maizière: Ich war zu kurz Politiker, um völlig süchtig zu werden. Mein Freund Gregor Gysi kriegt Entzugserscheinungen, wenn eine Woche lang keine Kamera auf ihn gerichtet ist. Ich kann auch ohne. Als so genannter Elder Statesman genießt man übrigens auch eine gewisse Narrenfreiheit.

RONDO: So wie Helmut Schmidt.

de Maizière: Nicht alles, aber doch vieles von dem, was er sagt, ist klug. Es wäre leichter ihn zu bewundern, wenn er nicht so arrogant wäre. Als er uns nach der Wende unsere Fehler vorzurechnen begann, habe ich ihn einmal direkt gefragt, warum er uns das nicht früher gesagt habe.

RONDO: Was tun Sie heute?

de Maizière: Ich bin wieder Anwalt, besonders im Kontext von Wirtschaftsbeziehungen zum Osten. Meine feste Überzeugung ist es, dass es Deutschland auf Dauer nur gut geht, wenn wir ein gutes Verhältnis zu Russland haben. Dazu gehört eine klare rechtliche Situation.

RONDO: Ihre stellvertretende Regierungssprecherin hieß 1990 Angela Merkel. Sind Sie stolz auf sie?

de Maizière: Das wäre das falsche Wort. Ihre weit überdurchschnittliche Intelligenz und ihre analytischen Fähigkeiten habe ich damals schon gesehen. In formaler Logik war sie unschlagbar. Was ich ihr nicht zugetraut hätte, ist das Durchsetzungsvermögen, das sie bewiesen hat. Sie war sehr zurückhaltend und bescheiden. Wenn man ihr ein Kompliment machte, bekam sie sofort rote Ohren.

RONDO: Versteht Angela Merkel was von Musik?

de Maizière: Sie liebt Wagner. Vor eineinhalb Jahren war sie auch ganz begeistert und innerlich erfüllt, weil sie am Abend vorher Bruckners vierte Sinfonie im Konzert gehört hatte. Ich sagte zu ihr: »Ja, gleich dieses schönes Hornsolo am Anfang« und habe gesungen: »Dii-da-diiii …«. Da meinte sie: »Ach, Du kannst das immer gleich nachsingen. Ich kann’s nur schön finden.« Ich glaube nicht, dass Angela Merkel nach Bayreuth geht wie manch anderer aus dem politischen Lager, um sich dort ablichten zu lassen. Sie hat das echte Bedürfnis, da mal in eine andere Welt einzutauchen.

RONDO: Sie haben im Vorfeld unseres Gespräches nicht darauf bestanden, dass der Komponistenname Carl Czerny nicht genannt werden darf.

de Maizière: Nein, das würde ich auch nicht tun.

RONDO: Die Entdeckung, dass die Stasi Sie unter dem Decknamen »IM Czerny« geführt haben soll, ging 1990 direkt ihrem politischen Rücktritt voraus. Wie stehen Sie heute dazu?

de Maizière: Ich würde es nicht den entscheidenden Grund für meinen Rücktritt nennen. Aber es wäre auch nicht richtig zu sagen, dass es mir gleichgültig ist. Im Zusammenhang mit der späteren Überprüfung der Anwaltszulassungen hat man sogar gesetzwidrig Akten meiner Mandanten durchforstet, um etwas herauszukriegen. Dass dabei nichts zutage kam, hat man mir später sogar bescheinigt. Das interessierte nur niemanden mehr. Was mich am meisten gekränkt hat: Ich bin aus tiefster Überzeugung Streicher und habe Carl Czerny als Klavierschüler immer gehasst. Es wäre der letzte Name, den ich mir hätte geben lassen. Meine Klavierfähigkeiten waren, ehrlich gesagt, zeitlebens äußerst mäßig.

Robert Fraunholzer, 31.05.2014, RONDO Ausgabe 3 / 2008



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