home

N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

Roberto Alagna

Von der Strandbar an die Scala und zurück

Dem deutschen Klassikkritiker, dem die E- und U-Musik-Differenz ins Stammbuch geschrieben ist, fällt es nicht leicht, sich der leichten Muse hinzugeben. Erst recht nicht der süd- und mittelamerikanischen. Christoph Braun hat es getan für ein Interview mit dem Tenor Roberto Alagna. Denn der will mit seiner neuen CD »Pasión« eben für das in Lateinamerika ganz natürliche Miteinander von Kitsch und Kunst werben. Meint er das ernst? Seine Entschlossenheit lässt keinen Zweifel.

Die Interpreten dieser sonnenverwöhnten Südregionen tanzen bekanntlich erkämpft. Ausflüge zur leichten Muse sind bei ihm zumindest authentisch. von morgens bis abends Samba, schauen den Copacabana-Girls hinterher und kultivieren und sublimieren im Tango das, was George Bernhard Shaw trefflich den »vertikalen Ausdruck eines horizontalen Verlangens« nannte. Ob Klischee oder nicht: Mit seiner neuen Lateinamerika-Platte will Roberto Alagna nur eines vermitteln – »Pasión«. Alle Musik, ob Oper oder Schlager, ist ihm »Leidenschaft«, nichts sonst. Und die hat der 48-jährige Tenor-Superstar sizilianischer Herkunft (mitsamt südamerikanischer Großmutter) zweifellos im Blut und in den Stimmbändern. »Piensa en mi«, »La Cumparsita«, »Bésame mucho« oder »Cielito Lindo« (hierzulande jedem durch Heinos »Karneval in Rio«-Verschnitt bekannt): Für die 16 »Pasión«-Hits bietet der Hero der italienisch-französischen Opernbühne mit Arrangeur und Dirigent Yvan Cassar das volle Verführungsprogramm: Schluchzen, Falsettieren, Glissandi, Ajajajai-Seufzer, laszive Rhythmen und natürlich Bandoneon mitsamt Trompeten in Terzparallelen. Wie sehr diese argentinisch-brasilianisch-kubanischen Narkotika wirken, zeigen die Charts, vor allem in Frankreich. Seit seinem Luis Mariano-Album und der »Sicilien«- Reverenz an seine Heimat lieben die Franzosen »notre ténor«; mit »Pasión« ist er offenbar endgültig zu ihrem »klassischen« Popstar avanciert. Oder soll man statt »avanciert« besser »devanciert« sagen? Auf jeden Fall will man von ihm wissen: Quo vadis, Roberto?
Selbstverständlich verkneift man sich den hässlichen Hintergedanken: Wer auf Opernbühnen nichts Rechtes mehr zuwege bringt, der geht halt ins Varieté oder in die Charts. Ersteres stimmt nicht, wie Alagnas gefeierte Pinkerton- Vorstellung in der Münchener »Madama Butterfly« vom Februar dieses Jahres zeigt; und übrigens ist das Naserümpfen über seine »U«-Seitensprünge ziemlich bigott: Was man beim alten Fritz (Wunderlich) als Archivschätze bejubelt, sollte man bei den heutigen Superstars à la Domingo, Villazon und Alagna nicht per se verurteilen. In diesem Fall würde Alagna nur zu seinen Wurzeln zurückkehren: Trat er doch, um seine Brötchen in Paris zu verdienen, zunächst als gitarrespielender Sänger in Varietés und Bars auf – bevor er Pavarotti in einem Nobelkaufhaus ein Autogramm abjagen konnte und dieser ihm eine Teilnahme an seinem Wettbewerb in Philadelphia anbot. Den gewann der damals 24-Jährige auch prompt – mit ihm eine Weltkarriere, die nicht nur Publikumsovationen und den Traumpaar-Status für die Ehe mit der rumänischen Diva Angela Gheorghiu einbrachte, sondern auch manchen Kritikerverriss und Skandal – wie den in der Scala 2008, wo das pfeifende Publikum und der schimpfende Star sich inmitten einer »Aida« gegenseitig vorwarfen, einander nicht ebenbürtig und würdig zu sein.
Wer auch immer da im Recht war: Eine Aussage wie die aus Alagnas Autobiografie »Tenor als Berufung« (»Ich wäre heute sicher als Sänger in Pizzerien noch glücklich« ) würde man jedem anderen Star, gelinde gesagt, als Koketterie ankreiden, bei ihm hingegen besticht ihre geradezu naive Ehrlichkeit. Von dieser zeugen auch Alagnas Zukunftspläne (»Ich schaue einfach, was kommt«) und: Wenn die Zeit komme, begebe er sich auch ins deutsche Fach, zu Wagner, und, warum nicht?, auch zum deutschen Lied. Denn: »All is music and music is my life!«. Folglich ist auch die Kritiker-Klage über den Opern-Business-Betrieb mit seinen jungen, allzu schnell verschlissenen Sängertalenten kein Thema für den Erfolgsverwöhnten. Nur auf ein Einziges gilt es seiner Meinung zu achten, und zwar so sorgfältig wie auf das eigene Kind: die Stimme. Auch wieder so eine entwaffnend einfache Antwort. Und Angela?! Die indiskrete Frage, die am Schluss einfach gestellt werden muss, beantwortet ein glücklich Lächelnder: Man sei gereift aus der Fast-Scheidung hervorgegangen, und, ja, man werde bald wieder gemeinsam auf der Bühne stehen! Was will man mehr?

Diverse

Pasión

Roberto Alagna u.a., Yvan Cassar

DG/Universal

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Christoph Braun, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 2 / 2012



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Pasticcio

Verdacht bestätigt

Meldungen und Meinungen der Musikwelt

Als der Geiger Roman Totenberg 1980 ein Konzert gegeben hatte, brachte er seine Stradivari noch […]
zum Artikel

Zugabe

Namen, Nachrichten, Nettigkeiten: Neues von der Hinterbühne

Star-Dirigent Antonio Pappano, bald der am längsten amtierende Chef des Royal Opera House Covent […]
zum Artikel

Hausbesuch

Landestheater Linz

Lebendiges Kunstwerk

Das Landestheater Linz stellt Heiner Müllers legendäre Bayreuther Deutung von „Tristan und […]
zum Artikel


Abo

Top