home

N° 1308
03. - 09.06.2023

nächste Aktualisierung
am 10.06.2023



Startseite · Interview · Gefragt

Gladys Knight

Lizenz zum Swingen

Jetzt hat auch die Souldiva Gladys Knight eine CD mit Jazz-Standards und Big-Band-Begleitung aufgenommen. Aber: Darf sie das?

Die Liste von Popstars, die in den vergangenen Jahren auf wundersame Weise den Swing des Great American Songbook für sich entdeckten, ist lang und zum Teil erschreckend. Den Anfang machten 1999 George Michael und Bryan Ferry, es folgten Robbie Williams, Natalie Cole und Rod Stewart, demnächst kommt auch noch (huch) Art Garfunkel. Wenn Gladys Knight, die laut Guinness Buch der Weltrekorde zu den 20 erfolgreichsten Sängerinnen aller Zeiten gehört, nun die erste Jazzplatte in ihrer langen Karriere herausbringt, scheint der Fall eigentlich klar: Hier will jemand auf der Modewelle mitschwimmen.
Aber es stimmt nicht ganz. „Dies ist kein Jazzexperiment und kein Versuch, auf den Trendzug aufzuspringen“, sagt die 62-jährige Souldiva über die CD „Before Me“. Man kann schon am Cover sehen, auf dem die Häupter bedeutender Jazzvokalistinnen wie Ella Fitzgerald oder Billie Holiday über der verzückt lächelnden Knight wie gute Geister schweben, dass es sich bei dem Tonträger um eine Hommage handelt. „Ich wollte diesen wunderbaren Künstlern endlich meinen Tribut zollen“, erklärt Knight, „Ella, Billie, Sarah Vaughan, Dinah Washington, Lena Horne, Nina Simone, aber auch Ellington, Basie und Sinatra. Ihre Musik wird meiner Meinung nach niemals sterben.“ Wenn die Musik so liebevoll gepflegt wird wie auf „Before Me“, muss man sich um ihr Fortbestehen keine Sorgen machen.
Gewiss, ein leicht musealer Charakter lässt sich nicht abstreiten. Aber die Größe des Aufwandes beeindruckt schon. Als Produzenten wurden Tommy LiPuma (Al Jarreau, George Benson, Natalie Cole) und Phil Ramone (Frank Sinatra, Ray Charles, Barbra Streisand) bestellt, für die Arrangements war unter anderem John Clayton (gemeinsam mit LiPuma der Mann hinter Diana Krall) verantwortlich. Und dann saßen mit Roy Hargrove, David „Fathead“ Newman und Joe Sample auch noch Meister ihres jeweiligen Instrumentenfachs im Orchestergraben. Die Frau am Mikrofon rechtfertigt den Produktionsprunk allerdings mit jeder Silbe. Sie ist tatsächlich eine wunderbare Jazzsängerin mit tief empfundener Blues-Kenntnis (was man in ihrer Version von „God Bless The Child“ hören kann) und feiner Scat-Befähigung (wovon „But Not for Me“ Zeugnis ablegt).
Es ist kein Promotiongewäsch, wenn Knight erklärt, dass sie dieses Album schon seit langer, langer Zeit machen wollte. Ihr ehemaliger High- School-Lehrer habe sie ständig dazu gedrängt. Der gute Mann, Lloyd Terry, galt in Knights Heimatstadt Atlanta als der führende Jazztrompeter. Das Mädchen war gerade mal in der achten Klasse, als sie schon in Terrys Profiformation den Ton angeben durfte. „In dieser Zeit lernte ich den Jazz von der Pike auf. Ich studierte die großen Sängerinnen, aber auch Oscar Peterson und Cannonball Adderley.“ Dann aber machte Knight als Popstar Karriere. 1961 gelang ihr mit der Vokalformation „The Pips“ der R&B-Hit „Every Beat Of My Heart“. Es folgten unzählige weitere Top-Ten- Erfolge, darunter „I Hard It Through The Grapevine“, „Midnight Train To Georgia“ oder, nach der Auflösung der Pips, der James-Bond- Song „Licence To Kill“. „Ich kam einfach nicht dazu, ein Jazzalbum aufzunehmen“, sagt die siebenfache Grammy-Gewinnerin heute entschuldigend.
Schade nur, dass ihr Lehrer die Rückkehr zu den Wurzeln nicht mehr mitbekommt. Lloyd Terry, mit dem Knight die Platte aufnehmen wollte, starb vor zwei Jahren. Er wird aus dem Himmel ähnlich wohl gesonnen auf die fertige CD schauen wie all die legendären Jazzsängerinnen, denen Knight auf „Before Me“ ein schönes Denkmal setzt.

Neu erschienen:

Before Me

Gladys Knight

Verve/Universal

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Josef Engels, 13.09.2014, RONDO Ausgabe 1 / 2007



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Gefragt

Christian Tetzlaff

Klarstellung

Interpretieren bedeutet manchmal auch Aufräumarbeit – wie das neue Dvořák-Album der […]
zum Artikel

Pasticcio

Vorne hört man immer besser

Zwei Jahre ist es nun schon wieder her, seit die Elbphilharmonie endlich von den Leinen gelassen […]
zum Artikel

Gefragt

Ian Bostridge

Schrecklich schön

Vor 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg. Der britische Tenor begab sich aus diesem Anlass auf […]
zum Artikel


CD zum Sonntag

Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Der Komponist Johann Joachim Quantz (1697-1773) war auch ein exzellenter Flötist und nahm als Flötenlehrer Friedrichs des Großen eine privilegierte Stellung im musikalischen Leben am preußischen Hof ein. Viele seiner Werke ebenso wie viele der von ihm gebauten Flöten entstanden ab 1741 exklusiv für den Monarchen. Der belgische Flötist Frank Theuns spielt hier auf einer originalgetreuen Kopie einer Quantz-Flöte einige dieser „Privat-Konzerte“. Theuns und sein sechsköpfigen […] mehr


Abo

Top