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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Decca/Uli Weber

Cecilia Bartoli

Liebesgrüße aus Sankt Petersburg

Auf ihrer jüngsten musikalischen Entdeckungsreise wandelt die Mezzosopranistin auf den Spuren dreier Zarinnen – und singt erstmals auf Russisch.

Ein russisches Album? Nein, damit rechnet man auf Anhieb wirklich nicht, wenn man den Namen Cecilia Bartoli hört. Aber Bartoli wäre nun einmal nicht Bartoli, wenn sie nicht auch bei ihrem neuesten Projekt wieder eine Überraschung für den Zuhörer im Ärmel hätte. So widmet sie sich fast möchte man sagen: selbstverständlich nicht etwa den hierzulande bestens vertrauten Namen wie Tschaikowski, Glinka oder Borodin. Die überlässt sie dann doch lieber der Kollegin auf dem gelben Label. Nein, die Früchte von Bartolis nie endendem Forscherdrang beleuchten eine kaum beachtete Epoche des russischen Musiklebens, die bislang, wenn überhaupt, wohl nur Insidern bekannt war. „Es war auch für mich faszinierend zu entdecken, dass es schon vor Glinka bereits eine sehr lebendige Operntradition in Russland gab. Natürlich ist es in gewisser Weise ein russisches Album, aber gleichzeitig eines mit italienischen Komponisten. Viele kennen die Geschichten von Verdis Russlandreise und wissen, dass seine ‚Forza del destino’ dort uraufgeführt wurde. Aber bereits weit vor ihm gab es Anfang des 18. Jahrhunderts eine ganze Reihe von italienischen Komponisten, die in Sankt Petersburg große Erfolge feierten.“
Eben dort, am Ufer der Newa, begann nun auch Cecilia Bartolis Spurensuche. Und noch immer blitzt es in ihren Augen, wenn sie von ihren ersten Eindrücken dieser faszinierenden Metropole erzählt oder von der Anreise per Schiff, durch Unmengen von Eisschollen. Die Idee für das spannende Projekt spukte ihr schon seit einigen Jahren durch den Kopf, aber im Vergleich zu ihren bisherigen Ausgrabungen von Vivaldi, Steffani und Co. gestaltete sich die Recherche diesmal deutlich komplizierter, da die historische Bibliothek des Mariinsky Theaters aufgrund von Verträgen und Restaurierungsarbeiten lange Zeit nicht öffentlich zugänglich war. Doch Bartoli blieb beharrlich und überzeugte am Ende nicht nur den Hausherren Valery Gergiev, ein gutes Wort für sie einzulegen, sondern auch die offiziellen Stellen, ihr endlich Zutritt zu den Archiven zu gewähren. „Ich lasse eben nicht so leicht locker und habe ihnen erklärt, dass sie hier nicht einfach nur eine italienische Sängerin haben, die nach irgendwelchen merkwürdigen Noten sucht, sondern dass es auch ein wichtiges Kapitel ihrer eigenen Musikgeschichte ist.“
Eine erste Überraschung beim Betreten der Bibliothek war gleich die unerwartete Wiederbegegnung mit dem Komponisten Francesco Araia, der bereits bei Bartolis (auf den Spuren der Kastraten wandelndem) Projekt „Sacrificium“ mit einigen Virtuosenstücken vertreten war. Nachdem der in Italien überaus populäre Nicola Porpora eine Anstellung als Hofkomponist in Sankt Petersburg ausgeschlagen hatte, wurde nachvolldiese Chance nämlich von Araia genutzt, der ab 1736 mit seinen Werken über Jahre hinweg das Musikleben der Stadt dominierte. „Aber dieser Araia war irgendwie ein ganz anderer, als der, den ich bisher kannte. Ich will nicht sagen, dass er sich angepasst hat, aber er hat sich verändert und ist in Russland auch als Komponist gewachsen. Die Stücke, die er zum Beispiel in Italien für Farinelli geschrieben hat, sind ein wahres Feuerwerk, mit dem man hervorragend seine technischen Fähigkeiten beweisen kann. Hier fand ich aber auf einmal diese langsamen, beinahe melancholischen Arien, die eine ganz neue Farbe, eine neue Qualität hatten, die über das rein Virtuose hinausgeht. So habe ich Araia noch einmal mit völlig neuen Augen kennen gelernt. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Es ist fast so, als ob er versucht hätte, in die russische Seele hineinzuhorchen und das, was er dort fand, in Musik umzusetzen.“ Mag es sich auch schwer in Worte fassen lassen, sobald Cecilia Bartoli die ersten Töne davon ansingt, versteht man mit einem Mal, was sie meint. Denn der Genius Loci ist bei fast jeder auf der CD präsenten Arie auf die eine oder andere Art zu spüren.

„Nur weil diese Musik über 200 Jahre lang vernachlässigt wurde, heißt das nicht, dass sie nicht gut wäre.“

Ein weiterer wichtiger Name in der Trackliste des Albums ist Hermann Friedrich Raupach, der Araia 1755 in Sankt Petersburg als Hofkomponist nachfolgte. „Er war einer der ersten, die auch auf russische Libretti komponiert haben. Und weil ich diese Farbe unbedingt mit auf der CD haben wollte, singe ich jetzt also zum ersten Mal in meinem Leben russisch. Das war somit auch in der Hinsicht eine ganz neue Erfahrung. Ich habe mich vor Jahren schon einmal darüber mit Mirella Freni unterhalten, die damals gerade die Tatjana von Tschaikowski sang. Und als ich sie fragte, wie es denn sei, russisch zu singen, sagte sie nur: Weiß du, es ist schwierig, aber es ist nicht unmöglich. Heute kann ich ihr Recht geben“, wie Bartoli mit einem Lachen kommentiert. „Es ist nicht unmöglich. Vor allem, weil es eine sehr musikalische Sprache ist. Auch wenn sie sehr viele Laute enthält, die es so im Italienischen nicht gibt. Aber zum Glück habe ich eine sehr gute Lehrerin, die selbst Musikerin ist und mir dabei sehr geholfen hat.“ Und damit sich der Aufwand auch gelohnt hat, wird bei den begleitenden Live-Auftritten zum Album demnächst wohl noch mehr Russisches von ihr zu hören sein. „Ich bin froh, dass es bald auch Konzerte mit diesem Programm gibt, weil auf einer CD leider nie genug Platz ist, um all das aufzunehmen, was ich gerne möchte. Ich muss eine Geschichte, die sich vom Barock bis hin zur Klassik eines Cimarosa über fast hundert Jahre spannt, in 80 Minuten erzählen.“
So schwer ihr die Auswahl auch gefallen sein mag, der rote Faden für das Projekt „Sankt Petersburg“ war schnell gefunden. Cecilia Bartoli widmet ihre CD den drei Zarinnen, die zwischen 1730 und 1796 das höfische Leben an der Newa prägten und auch im Musikund Theaterleben der Stadt nachhaltige Spuren hinterließen. Nachdem Anna Ioannowna die Tore für Künstlerinnen und Künstler aus ganz Europa, vor allem aber aus Italien geöffnet hatte, erlebte die Oper unter Zarin Elisabeth, die selbst begeistert im Chor sang, eine neue Blütezeit, in der unter anderem auch die erste Oper mit russischem Libretto zur Uraufführung kam. Katharina die Große schließlich zählte das Musizieren zwar nicht unbedingt zu ihren Stärken, doch auch sie war eine eifrige Opernbesucherin, die vor allem die italienische Opera buffa genoss.
Dass von den damals entstandenen Werken heute kaum noch eines auf den Spielplänen zu finden ist, kann Bartoli nicht nachvollziehen. „Sicher, es gibt hier gute und schlechte Stücke, aber das ist heute doch auch nicht anders. Nur weil diese Musik über 200 Jahre lang vernachlässigt wurde, heißt es nicht, dass sie nicht gut wäre. Ganz im Gegenteil, vieles davon ist einfach unglaublich und hätte es wirklich verdient, wieder öfter gespielt zu werden. Als ich damals mein Vivaldi-Album gemacht habe, waren das auch fast alles Weltpremieren. So populär seine Musik auch immer war, als Opernkomponisten hatte man ihn kaum auf der Rechnung. Das hat sich inzwischen zum Glück geändert, und ich bin stolz, dass auch ich dazu meinen Teil beitragen durfte. Und wer weiß, vielleicht sehen wir ja auch von einem dieser Komponisten in Zukunft mal wieder ein Werk auf der Bühne.“

Neu erschienen:

Francesco Araia, Hermann Friedrich Raupach, Francesco Manfredini

St Petersburg

Cecilia Bartoli, I Barocchisti, Diego Fasolis

DG/Universal

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Als die Oper russisch lernte

Das Jahr 1755 markiert einen entscheidenden Einschnitt in der russischen Musikgeschichte. Denn mit Francesco Araias „Tsefali i Prokris“ (dt. „Zephalos und Prokis“) kommt in Sankt Petersburg die erste russischsprachige Oper zur Uraufführung, wofür auch die bis dahin dominierenden italienischen Sänger von einheimischen Künstlern abgelöst werden. Das Libretto für diese aus der griechischen Antike entliehenen Geschichte stammt vom einflussreichen Dichter Alexander Sumarokow, der wenig später auch für den neu gekürten Hofkomponisten Hermann Friedrich Raupach den Text zur Oper „Altsesta“ (dt. „Alkestis“) beisteuert, mit der Raupach seinen glänzenden Einstand feiert.

Tobias Hell, 18.10.2014, RONDO Ausgabe 5 / 2014



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