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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Musikinsel

Sizilien

Konzerte mit Ätnablick im Theater von Taormina oder in privaten Palästen. Dazu das Teatro Massimo: Sizilien ist große Oper.

Wenn man vor einem majestätischen Theatereingang steht, gleichzeitig im inneren Ohr Klänge aus „Cavalleria rusticana“ hört und vor seinem inneren Auge das tödliche Finale einer grandios opernhaften Mafia-Filmsaga vor sich hat, dann kann man sich nur vor dem Teatro Massimo in Palermo befinden, in dem Francis Ford Coppola die letzten Minuten seines „Der Pate III“ drehte.
Nur an wenigen Orten Europas sind nach wie vor so viele kulturelle Einflüsse zu spüren. Phönizier, Griechen, Römer, Araber, Normanen, französische Ritter, Spanier und schlussendlich das vereinte Italien, sie alle haben hier ihre schöngeistigen Spuren hinterlassen. Die ältesten Theater stammen von den Griechen, sie sind heute noch etwa in Syrakus, Segesta oder Taormina zu bewundern. Vielfach wurden sie von den Römern umgebaut, als Arena-Ersatz für Tier- und Menschenjagden sowie Seeschlachten benutzt. Heute kann man dort Schauspiel und Gesangsvorführungen erleben, in Taormina ganze Opern; so gab es etwa jüngst „Tosca“, „Bajazzo“ oder Mozarts „Entführung aus dem Serail“ – vor einer der schönsten Naturkulissen der Welt mit dem schneebedeckten Vulkan Ätna im Hintergrund.
Natürlich hat in Sizilien fast jedes Städtchen auch ein Theater, oftmals nach dem Volkshelden Giuseppe Garibaldi benannt, der von hier aus 1860 seinen Marsch gegen Rom begann. Die meisten davon sind kaum mehr bespielt, aber innen liebevoll erhalten, so wie etwa das Theater im Barockjuwel Noto, das seinen Namen freilich nach Tina di Lorenzo, einer um die Jahrhundertwende berühmten Schauspielerin, bekommen hat. Auf den nur 300 Sitzen feierte sich einst der Adel der nach dem großen Erdbeben von 1693 wiederaufgebauten Kommune, heute kann hier zahlend jeder hinein.
So wie in die zahlreichen Kirchen, die oft überdimensioniert über den meist auf Hügeln liegenden Dörfern und Städten thronen. Viele von ihnen sind noch heute in wild ausschwingenden, spanisch schweren, auch überladenen Barockformen gehalten, mit zum Teils bestens erhaltenen Orgeln, so dass selbst Konzerte mit geistlicher Musik einen theatralischen Zug bekommen. Oder einen kontemplativ feierlichen, wenn man es schafft, ein Konzert in einer der drei normannischen Kirchen mit byzantinischer Goldmosaikpracht zu erleben, der Cappella Palatina im Königspalast von Palermo oder in den Domen von Monreale und Cefalù.
1660 wurde in Palermo Alessandro Scarlatti geboren, der dann später in Rom Weltruhm erlangte. Richard Wagner vollendete in der Stadt sein Musikdrama „Parsifal“, wo er einen mehrmonatigen Kuraufenthalt verbrachte. Er wohnte im heutigen Grand Hotel Wagner, aber auch in der über und über mit Fresken verzierten Villa Tasca, deren Besitzer noch heute ein florierendes Weingut betreiben. In den meisten, oftmals noch in Privatbesitz befindlichen Stadtpalästen, Villen und Landschlössern des einst inselbeherrschenden Adels stößt man auf herrlich dekorierte Musiksalons und raffiniert ausgestattete Ballsäle, in die bisweilen noch zum Konzert gebeten wird.

Selbst wenn hier keine Musik erklingt, man meint sie immer noch zu hören.

Und auch wenn heute keine festliche Gesellschaft von Müßiggängern – wie sie Tomaso de Lampedusa so unvergesslich in seinem Roman „Der Leopard“ geschildert hat – in den Pausen Mandelmilch und Limonen-Granita schlürft oder sich an den wunderbaren sizilianischen Leckereien wie den mit Ricotta-Käse gefüllten Cannoli oder unter grüner Marzipanschicht üppigweiß strahlender Cassata delektiert: Es ist eine Pracht, etwa im mit feinen Landschaftsmalereien ausgestatteten Musiksalon im Castello di Donnafugato einem der drei Klaviere zu lauschen. Oder im Palazzo Biscari in Catania, wo schon Goethe zu Gast war, ein Konzert zu hören, bei dem die Musiker unsichtbar aus ihrem Olymp über der mit Götterfresken verzierten Saaldecke aufspielen. Dorthin gelangt sind sie über eine Wendeltreppe, die mit viel Stuck wie eine Meereswoge zu gischten scheint.
Selbst wenn hier keine Musik erklingt, man meint sie immer noch zu hören. Etwa in den üppigen Interieurs des Palazzo Mirto in Palermo, der erst 1982 der Stadt als Museum von der letzten Erbin einer Adelsfamilie vermacht wurde. Oder in der verwunschenen Villa Palgonia in Bagheria mit ihren berühmten Monsterfiguren und ihrem verlotterten Ballsaal, in dem nur noch die Marmorbüsten ihr Abbild im mit gemalten Korallen verzierten, längst halbblinden Spiegel an der Decke erblicken.
Zwei große Opernhäuser werden auf der Insel heute noch regelmäßig bespielt. Das Teatro Massimo in Palermo wurde Ende des 19. Jahrhunderts vom Architekten Giovanni Battista Filippo Basile erbaut. Im II. Weltkrieg stark beschädigt, wurde es später notdürftig renoviert. Nach dreiundzwanzigjähriger, immer wieder von der Mafia verzögerter Schließung wurde es 1997 von den Berliner Philharmonikern unter Claudio Abbado wiedereröffnet.
Und mag auch in dieser faszinierenden Stadt vieles marode sein, das Teatro Massimo ist ein Symbol für die positive Veränderung und kulturelle Neubelebung Palermos. Es wurde viel renoviert und restauriert, die alten Klischees von Verfall, Schurkentum und Bandenherrschaft sind wenigstens zum Teil verblasst.
In Catania hingegen, der schwarzweißen Perle am Fuße des Ätnas, hat es bis 1890 gedauert, bis endlich das elegant neobarocke Teatro Bellini, harmonisch zwischen alten Palästen an einem Platz eingepasst, mit dessen Oper „Norma“ eröffnet wurde. Später sang sogar die Callas hier, doch diese Zeiten sind längst vorbei. Heute ist man froh, wenn die angekündigten Opern überhaupt noch Theaterwirklichkeit werden. Die Kulturkrise Italiens hat auch dieses Haus fest im Griff.
Während man die Bilder von den Noten im Kopf hat, aber auch die vom geöffneten Sarg Bellinis bei dessen Umbettung 1876 von Paris in den Dom von Catania (so wie sie sich gleich am Eingang seines nahen Museums präsentieren), wandelt man durch das Ridotto genannte Prunkfoyer des Theaters, in dessen Seitenkabinetten freilich bereits die Siebzigerjahre- Holzfurniere regieren – und träumt sich zurück in Zeiten, als in Sizilien noch Romantik und Genuss geherrscht haben. Gerecht war das nicht, die Großgrundbesitzer vermehrten ihren Besitz auf dem Rücken der Tagelöhner, aber fast immer war es große Oper. Wovon heute noch die vielen Erbstücke erzählen.

www.teatromassimo.it,
www.teatrobellini.it

Schlüssel zum Séparée

Der Palazzo Miro in Palermo und das Castello Donnafugata bei Ragusa sind städtische Museen. Im Palazzo Biscari in Catania gibt es vom Eigentümer, dem Grafen Ruggero Mocada, unregelmäßig Führungen. Auskünfte unter info@palazzobiscari. com. Die ehrgeizigen Pläne des Teatro Massimo in Palermo, wo gegenwärtig der ehemalige Operndirektor der Semperoper, Eytan Pessen, als künstlerischer Berater tätig ist und mit Werken wie „Feuersnot“ von Richard Strauss oder Weinbergers „Schwanda der Dudelsackpfeifer“ seinen unitalienischen Stempel setzt, finden sich unter www.teatromassimo. it. Die Webpräsenz der Oper in Catania ist www.teatrobellini.it.

Matthias Siehler, 22.11.2014, RONDO Ausgabe 6 / 2014



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