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Wer den 1973 in Lima Geborenen trifft, begegnet einem Lockenkopf mit dem Charme vom Pizza-Service. Nötigt man ihn zum Interview, so verstummt er – und rückt Infos über die Abneigung altbackener Inszenierungen oder sein Verhältnis zu Vesselina Kasarova nur höchst geizig heraus. Gibt man dann nach und fragt gar nichts mehr, so wandelt sich dieser Junge noch einmal – zum Gastgeber und Plauderkünstler. Dann lädt er zum Kaffee ein und packt plötzlich aus. Man erfährt, dass er gar kein Belcanto-Sänger sei, wenn man Rossinis strenge Maßstäbe zugrunde legt. Vom Vater, dem Walzersänger Rubén Flórez, habe er wenig gelernt. Er sei kein Operntyp, meint er und blickt versonnen in den Espresso. Zu selten auch sei er zu Hause in Bergamo. Wohl hätte man ihm, der mit 14 Jahren in Bars sang und Gitarrist einer Rockband war, Einfalt zugetraut. Doch die täuscht. Und zwar auf der ganzen Linie.
Flórez achtet genauer und kritischer auf seine Karriere als viele andere. Von seinem Lehrer Ernesto Palacio lernte er, die Stimme schlank zu halten und die Idee aufzugeben, ein stimmlich saftiger, in der Fülle schillernder Facetten trumpfender Tenor zu werden. Um nicht auszutrocknen, schläft er in unbeheizten Räumen und sitzt im Flugzeug mit feuchtem Tuch über dem Gesicht. Seine 60 bis 70 Auftritte pro Jahr dosiert er streng. Wo ihm etwas nicht passt – wie jüngst bei Otto Schenks New Yorker Inszenierung des „Don Pasquale“ – schmollt er, bis er Recht bekommt. Lohn des Schwierigen: Jugendfrisch springen ihm Arien wie Luftschlangen aus dem Mund.
Sein viertes Album „Sentimiento Latino“ ist direkter Ausdruck seines Familienhintergrunds. Die Welt der „Valses criollos“, Straßen-„Marineras“ und Boleros war zuhause allgegenwärtig. Ohne ins Schmusige abzudriften, flicht Flórez die Ziergirlanden der „Alma Ilanera“ zu Gefühlssträngen, juchzt „Granada“ – und haut zum Eigenarrangement von „Fina Estampa“ in die Bongos. So löst Flórez die derzeitige Mode zum Tenor-Schmankerl kongenial, fast ohne Seriösitätseinbußen ein. Kaum je wurden Tenorschleifen so elegant mit Emotionen gefüllt wie bei ihm. Juan Diego Flórez, ob mit Belcanto, mit Light Music oder gelegentlich mit Mozart, lässt die Nachfolgefrage für Pavarotti & Co. verblassen. Flórez erfindet den Tenorerfolg zwanglos neu – mit sich selbst als Juan Diego Superstar.
Decca/Universal
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„Italien bringt keine großen Sänger mehr hervor“, hat Flórez einmal gesagt. Gemessen an Caruso und Pavarotti stimmt das. Tatsächlich kommen Supertenöre heute vor allem aus Peru, Mexiko oder Argentinien.
Als Jungbrunnen vor allem leichter Tenöre haben Mittel- und Südamerika Tradition: Schon Domingo wurde in Mexiko ausgebildet. Von dort stammte mit Francisco Araiza der lange Zeit beste Rossini-Tenor. Aus Chile kam Ramón Vinay, aus Peru stammten Luigi Alva und Ernesto Palacio, der Lehrer von Juan Diego Flórez (33).
Der in Mexiko-Stadt geborene Ramón Vargas (46), Belcantist mit phlegmatischer Bühnenpräsenz, hat sich als tenore di grazia aufs Feinzeichnen spezialisiert – vor allem bei Donizetti und leichterem Verdi. Sein Lands mann Rolando Villazón (33) rückte als „Traumpartner“ von Anna Netrebko in die vorderste Reihe der Mediensuperstars auf; er ist zurzeit der beste Alfredo, Rodolfo und Don José.
Für dramatische Schleudertraumata sind aber beide nicht zuständig, ebenso wenig wie José Cura (43) und Marcello Alvarez (41) aus Argentinien. Der eine seilt sich häufig zum Dirigentenpult ab, Alvarez’ Schmeicheltenor hat – trotz vermehrter Schluchzer – die ganz große Karriere nicht geschafft.
Robert Fraunholzer, 20.12.2014, RONDO Ausgabe 3 / 2006
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