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N° 1354
20. - 28.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Leila Josefowicz

Die Farbe Leila

„Schostakowitsch war mein Therapeut“, sagt Leila Josefowicz. Nach Kind und Krise meldet sich das ehemalige Wunderkind und Chanel-Gesicht zurück zur Geige. Ist sie’s wirklich? Robert Fraunholzer traute seinen Augen nicht.

Als Wunderkind wurde sie durchs TV gereicht – bis zu Johnny Carson Lucille Ball. Sie modelte für Chanel. Machte in zehn Jahren zwölf CDs. In die Mitte dieser Bilderbuch-Karriere fiel die Krise. Ein Sponsor wollte sein Instrument zurück. Die kurze Ehe mit Kristjan Järvi zerbrach. Selbst der Plattenvertrag platzte. Auf den früheren CD-Covern von Leila Josefowicz kann man dieses Auf und Ab erschüttert nachvollziehen. Man sieht, wie abrupt hier ein Wunderkind ins Leben geschubst wurde. Und heute? Die junge Frau, die uns in der Hotel-Lobby in Leipzig entgegen springt, ist nicht wieder zu erkennen. Plötzlich langhaarig, mädchenhaft verschlankt, wie ausgewechselt. „Mein Leben sollte immer ein Neustart sein“, sagt sie. Und spricht das Geheimnis eines der erstaunlichsten Comebacks der letzten Jahre aus.
Weich, wie eingesunken, weht der Ton durch Schostakowitschs 1. Violinkonzert. Irrwitzig aufgelichtet im Scherzo, emotionsschwer in der Passacaille und leicht-federnd in der Burlesque. „Meine beste Platte“, sagt Leila (sprich: Lila). Es ist ihre erste Live-CD, vermehrt um die selten gespielte Violin-Sonate von „Schosta“. Fast klingt es wie ein Geständnis. Wie ein klingendes Protokoll einer endlich glück lichen Selbstfindung. Denn einfach war aller Anfang nicht. Mit dreieinhalb Jahren gab man ihr eine Geige in die Hand. Der Vater, erfolg reicher Physiker, realisierte in seiner Tochter den eigenen Traum. Aus dem kanadischen Mississauga bei Toronto, wo sie 1977 geboren wurde, kam sie früh nach Los Angeles. Erst der neuerliche Wechsel zur Ostküste aber, wo sie am Curtis Institute neben Hilary Hahn studierte, fiel ihr wirklich schwer. „Zu wenig Sonne. Strenger und konkurrenzbewusster als ich es kannte.“ An das Carnegie-Hall-Debüt des Geigen- Girlies (sie war 16!) schlossen sich Auftritte in der „Tonight Show“ und bei Bob Hope an. „Ich durfte nicht viel überlegen“, weiß sie heute. „I just did it.“ Die Ehekrise trug sie fast aus der Kurve. „Frauen, denen es schlecht geht, schneiden sich oft die Haare ab“, sagt sie erklärend. Die Haare wachsen wieder. Mit dem sechsjährigen Sohn Lukas lebt Leila Josefowicz heute in New York. Mutter Wendy passt auf den Sohn auf, wenn Leila auf Reisen ist. Und das geschieht häufiger denn je. Unterwegs ist sie nicht nur mit Meisterwerken von Beethoven bis Berg, sondern fast lieber mit neuen Stücken von Esa-Pekka Salonen oder Oliver Knussen (der sie kurz nach dem Interview beim Gewandhausorchester begleitet). Leila Josefowicz braucht neue Musik als Inspiration für die Werke der Tradition. „Ohne eigene Projektionen bleibt alle Musik stumpf.“
Als Fan von Meditation und Wickellook gibt sie sich dabei immer europäischer. Letzteres ist kein Zufall. Neville Marriner war ihr Mentor. Prägende Konzerterlebnisse kamen von Henryk Szeryng und Nathan Milstein – zwei Geigern, in denen die Alte Welt nach Amerika kam. Ihr Vorbild aber heißt: Gidon Kremer. Mit ihrer neuen CD, in der all dies hörbar scheint, hat Leila Josefowicz erstmals die eigene Farbe gefunden. Nachgiebiger, weicher, doppelsinniger als man es von ihr kannte. Ein Neustart und klingendes Selbstfindungs-Protokoll. Und ein Durchbruch zum Glück.

Neu erschienen:

Schostakowitsch

Violinkonzert Nr. 1 u.a.

Leila Josefowicz, John Novacek, City of Birmingham Symphony Orchestra, Sakari Oramo

Warner

Robert Fraunholzer, 20.12.2014, RONDO Ausgabe 3 / 2006



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