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Das Adjektiv „mozartisch“ als Bezeichnung für das eigene Spiel wäre für viele Interpreten eines der größtmöglichen Komplimente – doch nicht für Andrew Manze. „Heute haben wir fast so etwas wie einen Mozartstil“, erklärt uns der Barockgeiger beim Treffen im betont altenglisch gestylten Londoner Hotel „Durrant’s“, dessen knarrender Dielenboden allerdings tatsächlich noch aus dem 18. Jahrhundert stammt. „Man sagt, ein bestimmter Stil sei sehr mozartisch, während sich andere Interpreten gut eigneten für Rachmaninow und Liszt“, fährt Manze fort. „Ich aber glaube, dass wir, wenn wir Mozart hörten, beides erleben würden: auch die Romantik und die Expressivität.“
Man könnte es für den Wunsch halten, sich auf jeden Fall von anderen Interpreten abzusetzen, doch in Wirklichkeit ist Manzes Mozartsicht nichts anderes als der generelle Anspruch an sich selbst, Stücke „so zu spielen, als sei die Tinte noch nicht trocken“. Wobei die Tinte nicht bei der ersten Begegnung flüssig wurde, wie Manze bekennt: „Bei den Violinkonzerten KV 216, 218 und 219 hatte ich ein Aha- Erlebnis, als ich einmal eine Reproduktion des Autografs geschenkt bekam. Vorher war es für mich Musik, die ich studiert habe und die jeder Geiger in der Welt spielt: Menuhin, Mutter und so weiter. Doch dann schaute ich auf die Noten und sagte mir: Hier ist ein 19-jähriger brillanter Musiker, der für sich selbst schreibt, für seine Freunde im Publikum und im Orchester, denn er saß im Orchester, er war ja einer der Geiger.“ Manze macht eine winzige Kunstpause. „Und auch sein Vater saß dort. Da wurde mir bewusst: Dies ist keine Musik, die für die Philharmonie oder die Deutsche Grammophon geschrieben wurde (auch wenn ich nicht das Geringste gegen beide habe). Und ich sagte mir: Vergiss den Konzertsaal und die CD, geh zurück zu Mozart und seinen Freunden.“
Und zu Mozarts Vater. Dessen Kommentare, zwischen grummelnder Ablehnung der experimentellen Eskapaden seines Sohns und anerkennendem Vaterstolz changierend, kann Manze dem Besucher hinreißend und mit einem Anflug echter Bewegung in der Stimme vorspielen: „Ich fühle manchmal mit ihm.“ Wobei auch der die Freiheit der Improvisation genießende Alte-Musik-Spezialist Manze hin und her gerissen ist, wenn es um die Auseinandersetzung mit Leopold Mozarts Violinschule von 1756 geht. Die gilt schließlich unter Interpreten der Alte-Musik-Szene als Bibel historisch korrekten Musizierens. Einerseits sei Leopolds Schule ein informatives Handbuch, dessen Anleitungen noch heute „erstaunlich gut“ funktionierten, erklärt Manze. „Andererseits habe ich sie als etwas benutzt, wogegen ich rebellieren kann“ – schließlich war das Buch zum Entstehungszeitpunkt von Wolfgangs Violinkonzerten schon 19 Jahre alt. Vielleicht ist es ein Grund für Manzes Erfolg, dass er den Blick über den Tellerrand der Traktate wagt und über den Mozarts nicht die Zeitgenossen vergisst: „Gluck zu lesen fand ich sehr spannend“, bekennt Manze, „denn er sagte Dinge zur Musik, die Mozart nicht sagte – etwa darüber, wie man Trauer in Dur ausdrückt.“
harmonia mundi
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