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N° 1353
13. - 24.04.2024

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Von Opern und anderen Katastrophen

Heinrich Heine zum 150. Todestag

Heine, nach Ansicht Reich-Ranickis „der bedeutendste Journalist unter den deutschen Dichtern und der berühmteste Dichter unter den Journalisten der ganzen Welt“, widmete sich auch der Musikkritik. Was er damals schrieb, ist nicht nur amüsant, sondern auch heute noch erhellend.

Aus Deutschland setzte er sich ab, weil sein Werk verstümmelt, verfolgt, verboten wurde. Paris wurde seine zweite Heimat und schließlich des Wandermüden letzte Ruhestätte. Und so kam es zu den berühmten Berichten aus Paris, übrigens für die „Augsburger Allgemeine Zeitung“, über die politischen Zustände, über die Gesellschaft, über Kultur und Musik, wobei ihm seine persönlichen Freundschaften die Tore öffneten.
Dabei waren die Noten nicht eben Heines Fachgebiet. Der mit ihm befreundete Komponist Ferdinand Hiller formulierte das so: „Theoretisch oder praktisch verstand Heine gar nichts von Musik“, was ihn nicht hinderte, 1831 über Hillers Konzert eine Hymne zu schreiben. Überhaupt machte Heine aus seiner Schwäche gleich eine Tugend: „Nichts ist unzulänglicher als das Theoretisieren in der Musik; hier gibt es freylich Gesetze, mathematisch bestimmte Gesetze, aber diese Gesetze sind nicht die Musik, sondern die Bedingnisse. Das Wesen der Musik ist Offenbarung, und die wahre musikalische Kritik ist eine Erfahrungswissenschaft.“
Heine, der Dichter des leichten Tiefsinns und des tiefen Leichtsinns, war kein Feuilletonist der Political Correctness. Wenn der Gesang ihm nicht gefiel, hieß es nicht: „in der Höhe manchmal etwas angestrengt“, sondern: „Er schrie wie ein Waldesel“. Auch folgende Dame könnte heute erfolgreich klagen: „Sie soll außerordentlich tugendhaft sein und singt sehr falsch. Man behauptet, nicht bloß der Gesang, sondern alles an ihr, die Haare, zwei Drittel ihrer Zähne, die Hüften, der Hinterteil ...“
Heine leistete sich Entgleisungen, auch persönlich bedingte wie die Verurteilung des einst geschätzten und gebrauchten Freunds Meyerbeer, die heute nicht mehr denkbar wären. Doch auch sein Lob war überschwänglich – wer kann heute schon mit solchen Fanfarenstößen rechnen? „Ja, er ist hier, der große Agitator, er ist hier, der hohenzollernhechingensche Hofrath, der Doktor der Philosophie und Wunderdoktor der Musik, ... der neue Faust, der geadelte und dennoch edle Franz Liszt! ... der Attila, die Geißel Gottes aller Erardschen Pianos, die schon bey der Nachricht seines Kommens erzittern und die nun wieder unter seiner Hand zucken, bluten und wimmern!“ Auch Mendelssohn liebte er, und wie erstaunlich genau trifft seine hingeworfene Formulierung, wenn er von dessen „ernsthaften, ich möchte fast sagen passionierten Indifferenz“ spricht!
Voll des Lobes ist er auch stets für Berlioz und Chopin, Letzterer „kann uns die Poesie, die in seiner Seele lebt, zur Anschauung bringen, er ist Tondichter, und nichts gleicht dem Genuß, den er uns verschafft, wenn er am Clavier sitzt und improvisiert. Er stammt aus dem Lande Mozarts, Raffaels ...“. Beklemmend die Schilderung Paganinis, die in die „Florentinischen Nächte“ Eingang gefunden hat, in der die Musik ganz im Sinne der dunklen Romantik ihre Nachtseiten offenbart. Und wie brillant und witzig kommentiert er den Zustand der Pariser Oper: „Das Dach (der Oper) ist platt. Auf dem Dach stehen acht große Statuen, welche die Musen vorstellen. Eine neunte fehlt, und ach! das ist eben die Muse der Musik. Die arme Polyhymnia habe sich selbst hinabgestürzt, in einem Anfall von Verzweiflung über das miserable Singen von Monsieur Duprez“ (der erste Tenor, der das hohe C mit der Kopfstimme nahm).
Das Leben ein Spiel, ein Theaterspiel, man gibt sein Bestes zum Besten, doch der Beitrag zu des Lebens tollem Fasching ist oft dürftig. Allzu bereit werden die Rollen der unfreiwillig Komischen übernommen, und auch der Musikbetrieb ist Heine nichts anderes als ein Beweis dieser Weltsicht, den er literarisch verarbeitet. Bald aber fiel auch für ihn der letzte Vorhang. In einem Brief schreibt Heine: „Ueber das Leben hinaus verspreche ich nichts. Mit dem letzten Odemzuge ist alles vorbey, Freude, Liebe, Aerger, Lyrik, Makaroni, Normaltheater, Linden, Himbeerbonbons, Macht der Verhältnisse, Klatschen, Hundegebell, Champagner ...“

Helga Utz, 31.01.2015, RONDO Ausgabe 1 / 2006



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