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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Fanfare

Berlin, München, Frankfurt, Hamburg. Das wären eigentlich die Metropolen, wo man eine weltberühmte Tanzkompanie wie das New York City Ballet erwarten würde, wenn es – reiseunlustig, teuer und zu Hause sehr beschäftigt – nach 32 Jahren und nur wenigen, ausgewählten Touren mal wieder den Weg nach Deutschland findet. Doch der seit 1990 amtierende Company-Chef Peter Martins und 60 seiner 90 Tänzer gastieren stattdessen in Ludwigshafen und Baden-Baden. Also auf in die Pfalz, zwei Tage lang deutsche Tanzweltstadt. Hier stellt man beglückt fest: Beim NYCB gilt nach wie vor – Der Star ist die Truppe. Natürlich hatten sich George Balanchine und Jerome Robbins, die beiden russischstämmigen Hauptchoreografen von Amerikas nach wie vor in der Klassik tonangebender Tanztruppe, einst durchaus individuelle Solisten herangezogen. Aber die blütenhaften, dabei hochkomplexen Arrangements zu Mozarts »Divertimento No. 15« oder die strengen Formationen in Strawinskys »Symphony In Three Movements« muss eine Gruppe erst einmal mit solcher spielerischen Präzision hinbekommen.
Balanchine wird längst auch in Deutschland viel getanzt, doch seine ureigene Truppe ist diesem Bemühen nach wie vor um Lichtjahre voraus: Sie alle sind hochgezüchtete Magnolien aus Stahl und Samt. Und in Robbins‹ »Dances At A Gathering« ist die zärtliche Paarvertrautheit der zehn nicht nur durch ihre Kostümfarben voneinander abgesetzten, sich während sechzig seliger Minuten zu immer neuen Chopin-Begegnungen verflechtenden Protagonisten technisch auch nicht ohne. Mr. B ist seit 29 Jahren tot, Robbins seit 14 – und trotzdem scheint ihr Geist auch in der jüngsten, fast zur Gänze in der eigenen Schule ausgebrüteten NYCB-Tänzergeneration zu leuchten.
Eher provinziell ging es indessen in der Hauptstadt Berlin zu. Da komplettierte die Deutsche Oper ihr viel gerühmtes Wagner-Repertoire, den 200. Richard-Geburtstag fest im Blick, mit einem neuen »Lohengrin«. Der aussah wie der alte. Auf von mausgrauen Wänden eingefasster Szene zwischen Schwanenschatten, Riesenkreuz, Münster im Goldrahmen und roter Theatergardine wird eine Götz-Friedrich-Schlachtplatte mit Burgfräuleins, Kräuterhexen und marschierenden Massen angerichtet. Kasper Holten, Chef der Londoner Covent Garden Opera, ist im pragmatischen Fahrwasser gestrandet, versteckt sich im Halbdunkel politischer Andeutung, wirft Köder aus und belohnt nur mit altbackener Personenführungs-Konfektion.
Unten, wo Donald Runnicles waltet und rührt, klingt es nie sonderlich poetisch Der Generalmusikdirektor entfesselt keine Zartheit und kein Hassgebrodel, nur – wenn keiner singt – Lautstärke als schottischen Highlander-Gewaltmarsch. Mehr Schatten als Licht auch bei den Sängern, wäre nicht zu seiner dritten Berliner »Lohengrin«-Produktion und zum wiederholten Mal Klaus Florian Vogt eingesprungen. Dessen Knabentrompete gewinnt immer mehr an virilen Farben, wie ein Astralkörper schwebt diese Stimme durch die herkulische Partie. Ungenügend die silbenverschluckenden Brummbären Albert Dohmen (Heinrich) und Gordon Hawkins (Telramund). Ricarda Merbeth als trutschige Elsa ohne Höhenglanz steigerte sich vehement im Brautgemach. Brabants vokale Retterin war aber Petra Langs virtuos vitriolspeiende Ortrud: die gegenwärtig beste Böse unter der »Lohengrin«-Sonne. Und natürlich die großartigen Mannen und Frauen: Heil, Chordirektor William Spaulding! In Berlin ist auch René Jacobs ein regelmäßiger Operngast, so wie in Wien und Brüssel. Doch an der Spree gelang ihm schon lange nicht mehr eine so makellose Produktion wie jetzt in Belgien mit Händels »Orlando«. Die düster psychologische Oper um den liebesirren Ritter Roland hat Pierre Audi als Trip in den Kopf eines Brandstifters inszeniert. Jacobs dirigierte erstmals das Genter Barockorchester B’Rock mit Verve und hinreißender Musikalität. Und Bejun Mehta, seit einiger Zeit sein bevorzugter Countertenor, riskierte alles: Wut und Koloraturzartheit. Dreieinhalb Stunden Musiktheaterglück.
In Berlin biegt auch der stets mürrische Regieverweigerer Marek Janowski mit seinem Wagner-Zehnerpack mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester langsam in die Zielgerade. Nächste Saison droht nur noch der »Ring« (den dann auch Simon Rattle, Donald Runnicles und Daniel Barenboim dirigieren werden), gerade wurden ein eher sachlicher »Tristan« und ein tänzerisch beschwingter »Tannhäuser« gemeistert; beide Male mit der wunderbar dunkel nachdrücklichen, in den lokalen Opernhäusern seltsamerweise nie auftretenden Nina Stemme, mit Steven Gould als tenorelefantös nicht aus der Ruhe zu bringendem Tristan, Robert Dean Smith als zaghaft unsinnlichem Tannhäuser und dem liedhaft zarten wie melodramatisch durchdringenden Christian Gerhaher als wohl weltbestem Wolfram. Doch der nachdrücklichste Pluspunkt dieses gigantomanen Unternehmens bleibt der grandiose, sonst in der Oper selten zu hörende Rundfunkchor. Einzig dafür lohnt es sich. Im »Ring« haben dann nur noch die Mannen in der Gibichungenhalle Lautes und Kurzes zu vermelden.

Roland Mackes, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 3 / 2012



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