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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Musikstadt

Monte-Carlo

Monte-Carlo ist mehr als nur Meer. Das Fürstentum möchte sich mit dem Festival „Printemps des Arts“ auch als Ort der Künste etablieren.

Mondäne Schönheiten, die an der Seite undurchsichtiger Männer im Dinnerjacket jede Nacht ein Vermögen im Spielcasino, den Hotels, Restaurants, Boutiquen, im Beach Club und den sonstigen Hot Spots durchbringen – das ist ein Bild von Monte-Carlo, das höchstens noch in Hollywood existiert. Längst hat sich das Zwergfürstentum an der Côte d’Azur als Dienstleistungsunternehmen etabliert. Für Banken und Weltfirmen, für den Sport rund um Tennis und Formel Eins und jede Art von Wasserertüchtigung, für Kongresse – und eigentlich immer schon für die Kultur.
Auch wenn die prächtig renovierte Oper von Monte-Carlo, im gleichen Gebäude wie das Casino beheimatet, natürlich einst auch die Lust auf Roulette und Black Jack durch die Virtuosität der teuersten Goldkehlen beflügeln sollte, wurde hier seit 1878 immer wieder Musikgeschichte geschrieben. Und auf den 524 Polstersesseln im goldenen Saal, in dem der Architekt Charles Garnier offenbar soviel Schnörkel und Ornamente unterbringen wollte wie in seiner ungleich größeren Pariser Oper, erlebt man die wohl eindrücklichste Pelzmanteldichte überhaupt.
Man spielt zwar jede der vier bis fünf Produktionen des Winterhalbjahres nur drei Mal, trotzdem finden sich unter den hier uraufgeführten Opern einige Meisterwerke wie „La damnation de Faust“ von Héctor Berlioz, das wundersame „Das Kind und die Zauberdinge“ von Ravel/Colette, Faurés „Pénélope“, Puccinis „La Rondine“ sowie diverse Opern von Jules Massenet. Was dem legendären Impresario Raoul Gunsbourg zu verdanken war, der hier von 1892–1951 regierte, wenn auch mit Unterbrechungen.
Heute heißt der Chef Jean-Louis Grinda. Er inszeniert meistens selbst, setzt auf internationale Koproduktionen und hat nach wie vor berühmte Sänger wie Roberto Alagna, Juan Diego Flórez, Marcelo Álvarez, Natalie Dessay oder Erwin Schrott am Haus. Die größeren Produktionen weichen aber aus in das im Stadtteil Larvotto dem Meer abgerungene Forum Grimaldi mit seinem Theater und seinen bis zu 3000 Personen fassenden Sälen. Der im Jahr 2000 eröffnete Komplex ist freilich von sachlicher Nüchternheit.
Und hier treten auch die beiden anderen bedeutenden Kunstensembles des – sich ebenso mit Museen kulturell hervortuenden – Fürstentums auf, die unter der Schirmherrschaft der Prinzessin von Hannover, Caroline von Monaco, stehen. Da wäre das renommierte, schon 1856 gegründete Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo zu nennen, das auch unter seinem gegenwärtigen Chef Gianluigi Gelmetti gern gehört wird. Sein zweiter Spielort ist das Auditorium Rainier III, ebenfalls ein moderner Mehrzwecksaal unterhalb des Casinos. Im Sommer ist das Orchester zudem unterm Sternenhimmel im Ehrenhof des Fürstenpalastes zu erleben, effektvoll auf der doppelläufig geschwungenen Freitreppe platziert.
Die verschiedenen Künste vermischen, Brücken zwischen den Disziplinen bauen, das hat seit mehr als einem Jahrhundert Tradition in Monaco. Und seit mehr als zwanzig Jahren heißt sein berühmtester Kunstexport-Artikel Jean-Christophe Maillot. Der ehemalige John- Neumeier-Solist Maillot herrscht über seine 50-köpfige Truppe, ein Festival und die einst von Fürstin Gracia gegründete Schule. An diese sowie an die Vergangenheit Monte-Carlos als Winterquartier der „Ballets russes“ wollte Prinzessin Caroline anknüpfen, als sie in den Achtzigern „Les ballets de Monte-Carlo“ neu etablierte. Seit 1993 hat sie in Maillot offenbar ihren Traumprinzen gefunden.
Der ist stolz auf die Unterstützung der kunstinteressierten Prinzessin, die auch bei den Premieren ganz unroyal mitten im Publikum plaudert. Die großen Feiern 2009/10 zum 100-jährigen Jubiläum der legendären Diaghilev- Kompanie waren auch eine Art eigene Bilanz. Schon nach wenigen Vorstellungen ist man aber wieder auf Tournee. Das Ballett ist neben dem Orchester der wichtigste Kulturbotschafter des Zwergstaates, gastiert in Madrid, New York, Hongkong, Tokio, Moskau und Wolfsburg.
Schließlich möchte sich Monte-Carlo auch als Musikfestivalstadt im Kalender präsentieren. Dafür hatte einst Fürstin Gracia talentierte Künstler aus der ganzen Welt geladen, um die Gäste mit klassischer und zeitgenössischer Musik, Kunst, Tanz, Theater und künstlerischen Innovationen zu unterhalten. Leider hat sie selbst das erste Jahr nicht mehr erlebt, doch auch hier hält ihre Tochter Caroline die Flamme der Kunst hoch.

Wie sich an der Place de Casino die Sphären mischen: Touristen, Mondäne, Möchtegerns treffen auf Einheimische, Spieler und Feiersüchtige.

Das Festival „Printemps des Arts de Monte-Carlo“ wird jährlich zur schönsten Riviera- Reisezeit, an vier oder fünf Wochenenden im März/April, im Fürstentum und an traumhaften Konzertorten an der Côte d‘Azur veranstaltet: Eingeladen sind Hunderte von Künstlern aus dem klassischen, zeitgenössischen und traditionellen Bereich. Der „Printemps des Arts“ ist nicht nur ein herkömmliches Musikfestival, sondern auch ein offener Dialog mit den Besuchern. Es gibt kostenlose Konzerteinführungen vor den eigentlichen Vorstellungen, die die Werke und ihre Künstler erläutern.
Seit 12 Jahren strebt man hier auch bewusst weg von der Tradition, öffnet sich der Moderne, bündelt die Wochenenden unter einem Motto oder widmet sie einem Komponisten und versammelt dabei immer eine eklektische Mischung von Mitwirkenden – bis hin zum herrlich schrägen Gemüseorchester aus Wien, das ausgerechnet in der noblen Salle Garnier unter Verwendung von Blumenkohl, Gurken, Kürbissen und anderem Grünzeug ein hochvergnügliches „Massacre du printemps“ veranstaltet. Oder man lässt draußen vor dem Casino Jugendliche während eines Musikhappenings paradieren, wo später die berühmten Jagdbläser der Formation „Le Débuché de Paris“ antreten. Die Nachwuchstalente spielen derweilen im Empireprunk des Hôtel de Paris gleich gegenüber.
Wie sich hier, an der Place de Casino, überhaupt schön die Sphären mischen: Da sind die Touristen, die Mondänen und die Möchtegerns, die wenigen Einheimischen, Franzosen und Italiener auf Ausflug, die Spieler, die Feiersüchtigen und die Kunstinteressierten – eine echte Mischung Monte-Carlo.
Schuld daran ist der Intendant Marc Monnet, ein Schüler von Maurizio Kagel, der freilich auch so ungewöhnliche Orte wie das Gefängnis oder ein Parkdeck schon bespielt hat. Zur 32. Ausgabe des Printemps wartet er 2015 mit über 400 Gastkünstlern in 18 Konzerten an 4 Wochenenden auf, dazu kommen 3 Uraufführungen, 12 Konferenzen und 4 Meisterkurse an insgesamt 14 Veranstaltungsorten.
Von den großen Namen, wie Daniel Barenboim, Luciano Pavarotti, Ileana Cotrubas, die hier alle aufgetreten sind, hat man sich zwar nicht verabschiedet, aber es geht immer mehr um Inhalt: ein Zeichen, dass der „Printemps“ erwachsen geworden ist. Und wie an anderen schönen Musikorten soll man ja auch nicht völlig abgelenkt werden von den atemraubenden Küstenpanoramen von den drei Corniche- Straßen, dem herrlichen Miteinander von Meer, Palmen, Belle Époque und Hochhaustürmen, dem milden Klima, den guten Restaurants. Monaco war schon immer mehr als Meer. Und das will es auch in den Künsten sein.

www.opmc.mc
www.balletsdemontecarlo.com
www.printempsdesarts.com

Frühling an der Riviera

Der 32. „Printemps des Arts de Monte-Carlo“ findet vom 20. März bis zum 12. April statt. Die Wochenenden sind wahlweise Johann Sebastian Bach, Jean Sibelius und Franco Donatoni gewidmet. An diversen Orten außerhalb von Monaco treten große Cellisten auf. Neu ist der Festival-Pavillon als Treffpunkt, und erstmals werden auch Konzerte in Privathäusern angeboten. Zu erleben sind unter anderem „La petite bande“ unter Sigiswald Kuijken, das Ensemble Stravaganza, das BBC Symphony Orchestra unter Sakari Oramu, Soile Isokoski und das Orchestre Philharmonique de Radio France unter Mikko Franck mit der Geigerin Alina Pogostkina. Die Ballets de Monte-Carlo gastieren auch vom 6.bis 9. Mai beim Movimentos Festival in der Autostadt Wolfsburg mit Maillots „Choré“. Mehr unter www.movimentos.de

Matthias Siehler, 31.01.2015, RONDO Ausgabe 1 / 2015



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