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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Requiem ohne Worte

Jan Vogler

„The Secret Of Dvořák´s Cello Concerto“ – ein Krimi im Stile von Edgar Wallace? Gemach! Eine CD-Neuheit lockt mit dieser Headline. Dank der Beigaben von Jan Vogler und Angelika Kirchschlager erhellt sich ein Hintergrund von Beziehungsspielen, die Einfluss auf die Entstehung von Dvořáks berühmtem Konzert hatten. Und schon klingt der vertraute Evergreen ein bisschen anders.

„Es hat den Anschein“, so Jan Vogler, „als hätten sich Dvořáks Lebensgeschichte und meine, unabhängig von einander und durch ein Jahrhundert getrennt, in einem fernen Punkt treffen wollen, in einer Art partieller Wahlverwandtschaft.“ 1892 ging Dvořák für zweieinhalb Jahre nach New York, als Direktor des National Conservatory. An jeder Straßenecke im „Big Apple“ stand ein Geiger, der so spielte wie ein künftiger Heifetz, in jedem Musikladen spielte ein Song-Plugger von der Qualität eines Gershwin. Dann Musik der Indianer. Negrospirituals. Lieder von Stephen Foster, dem „amerikanischen Schubert“, die Dvořák in ein erst kürzlich wieder entdecktes Skizzenbuch schrieb. Er saugte alles auf. Gleichzeitig verzehrte ihn die Sehnsucht nach der böhmischen Heimat. Ein Crossover neuer Eindrücke und alter Empfindungen. Dem Cellokonzert (und natürlich der Neunten Sinfonie, beide in New York entstanden) ist das anzuhören. Wie kommt Angelika Kirchschlager ins Spiel? Sie singt zwei Lieder von Stephen Foster. Die sieben Zigeunerlieder op. 55 teilen Sängerin und Cellist untereinander auf, abwechselnd vokal/instrumental. Und dann Dvořáks Lied „Lasst mich allein in meinen Träumen“, zuerst als Gesangsstück, dann als Cellolied ohne Worte zu hören. Ein Anruf von Jan Vogler genügte, und die Kirchschlager sagte sofort Ja. Vogler: „Dafür kriegst du den ersten Track auf der CD.“ Dahinter steckt gewissermaßen auch „The Secret“, ein biografischer Hintergrund, der 30 Jahre zwischen 1865 und 1895 umfasst. Der 24-jährige Dvořák hatte sich in eine Klavierschülerin verliebt, Josefina Čermáková. Er hätte sie geheiratet, sie gab aber dem Grafen Kaunitz den Vorzug. Dvořák heiratete dafür Josefinas Schwester Anna. Er machte es wie Mozart: wenn nicht Aloysia Weber, dann Constanze. Aber Mozart hat Aloysia nie so ganz vergessen. Dvořák seine Schwägerin auch nicht. Und umgekehrt, wie es scheint. Josefina muss Dvořák die Stimme des Cellos suggeriert haben. Als er in sie verliebt war, hat er ein Cellostück in A-Dur komponiert. Leider ist nie ein Konzert daraus geworden. Als er 30 Jahre später in New York mit dem zweiten Satz des Cellokonzertes beschäftigt war, erfuhr er von einer ernsten Erkrankung Josefinas. Prompt verarbeitete er Zitate aus dem Lied, das sie besonders liebte: „Lasst mich allein“. Kaum war er 1895 wieder in Prag, starb sie. In das Finale seines eigentlich schon fertigen op. 104 fügte er 60 neue Takte ein, in denen er Zitate aus dem ersten Satz des Konzertes und Reminiszenzen an Josefinas Lieblingslied verarbeitete. Das war sein „Requiem“ für die Schwägerin, der er seine Liebe bewahrt hatte. Und wo berühren sich die Biografien von Dvořák und Jan Vogler? Die Berührungspunkte sind weniger melancholisch. Vogler wurde in Ostberlin in eine ganz eigene Musikwelt geboren. Sein Vater kam aus der legendären Klengel-Tradition, die auf den Leipziger Gewandhaus-Cellisten Julius Klengel zurückgeht. Mit 20 ging der Junior nach Dresden, wurde erster Solocellist der Staatskapelle. Der Ortswechsel bereitete ihm ein ungeahntes Wechselbad und war ein Riesenschritt in Richtung Selbsterkenntnis. Nach der Wende: tatkräftige Unterstützung durch den Cellisten Siegfried Palm (der selbst ein Cello aus Klengels Besitz spielte). Einladungen zum Marlboro Festival im US-Staat Vermont. Dann eine neue, eine weitere Wahlheimat: New York, wo, so Vogler, ein Musiker eine Wohnung suchen sollte. Heute ist Vogler zu je einem Drittel Berliner, Dresdner und New Yorker.

Neu erschienen:

The Secret Of Dvořák´s Cello Concerto

Jan Vogler, Angelika Kirchschlager,Helmut Deutsch, New York Philharmonic Orchestra, David Robertson

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Karl Dietrich Gräwe, 21.02.2015, RONDO Ausgabe 5 / 2005



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