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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Das pure Vergnügen

Paul Lewis

Der britische Pianist Paul Lewis wagt den Weg zum Gipfel. Denn er traut sich an die Gesamtaufnahme der Beethoven-Sonaten heran. Für uns war dies Grund genug, ihn dabei zu beobachten und ihn auch gleich zu seinem Beethoven-Verständnis zu befragen. RONDO-Autor Jürgen Otten traf Lewis während der ersten Session in den Berliner Teldex-Studios.

RONDO: Herr Lewis, einige der großen Pianisten des 20. Jahrhunderts haben sämtliche 32 Klaviersonaten von Beethoven in bestechenden Interpretationen vorgelegt. So beispielsweise Artur Schnabel, Wilhelm Kempff, Alfred Brendel, Friedrich Gulda und Daniel Barenboim. Ihnen nachzueifern, bedeutet eine enorme Herausforderung. Salopp gefragt: Warum tun Sie es?

Paul Lewis: Zunächst: Für mich ist es das reine Vergnügen, wie es das vor vier Jahren war, als ich alle Schubert-Sonaten spielte. Für Beethoven habe ich nun zwei Jahre Zeit – eine Zeit, in der ich mich intensiv mit seinen Sonaten auseinander setzen kann. Es ist eine besondere Erfahrung. Ich versuche ja nicht, Beethoven neu zu erfinden. Das, was Sie hören werden, ist meine Sicht auf Beethoven. Und ich denke, manche Musikliebhaber werden sie schätzen und mögen, und manche nicht.

RONDO: Heute haben Sie die beiden Sonaten op. 49 aufgenommen, so genannte leichte Sonaten. Es scheint fast so, als seien gerade diese Sonaten die schwersten. Stimmen Sie damit überein?

Lewis: Absolut.

RONDO: Gibt es ein Geheimnis, wie man diese Hürden locker überspringen kann?

Lewis: Nein. Man muss einfach versuchen, sich selbst dabei zu vergessen und nur an die Stücke zu denken. Was im Studio übrigens viel schwieriger ist als im Konzertsaal, weil man im Studio so fixiert auf den Klang des Flügels ist, auf die perfekte Wiedergabe. Der Konzertsaal lässt mehr Freiheiten zu, die Mikrofone im Studio sind hingegen unbestechlich. Das macht es heikler.

RONDO: Sind Sie mit dem Flügel zufrieden, der Ihnen hier zur Verfügung steht?

Lewis: Oh ja, er besitzt einige hervorragende Eigenschaften. Vor allem die klangliche Breite fasziniert mich. Und da eine Aufnahme immer eine Annäherung an das Perfekte ist, niemals das Perfekte selbst, ist es schon sehr hilfreich, wenn man sich auf das Instrument verlassen kann. Doch letztlich kommt es darauf an, wie der Pianist das Stück bewältigt – unabhängig vom Flügel.

RONDO: Gibt es Momente, in denen Sie das Perfekte zumindest spüren?

Lewis: Es gibt sie. Aber sie sind selten.

RONDO: Können Sie diese Momente beschreiben?

Lewis: Es sind im Grunde jene Momente, in denen man sich seines Tuns gar nicht richtig bewusst ist, jene Momente, wenn die Musik das Kommando übernimmt, und wenn man mit der Musik in einen intensiven Dialog tritt. Meine Erfahrung ist, dass dies – obwohl man zuvor in Tausenden von Übungsstunden ein interpretatorisches Konzept einstudiert hat – vor allem dann geschieht, wenn man nicht damit rechnet.

RONDO: Demnach ein unbewusster Prozess?

Lewis: Ja. Und die bewussten Prozesse entstehen während des Übens.

RONDO: Arthur Rubinstein sagte einmal, drei Stunden pro Tag würden als Übezeit genügen. Sie üben, so stand es jedenfalls zu lesen, fünf Stunden. Üben Sie zu viel?

Lewis: Nein, das bestimmt nicht. Außerdem sind es nur noch vier Stunden pro Tag.

RONDO: Warum?

Lewis: Es mag komisch klingen, aber einer der Gründe ist, dass meine Frau und ich eine sieben Monate alte Tochter haben. Ich glaube übrigens, dass Rubinstein nicht mehr nötig hatte, weil er genial war. Was ich nicht verstehe, sind Pianisten, die jeden Tag acht Stunden üben. Ich glaube, das ist nicht sehr vernünftig. Sie können sich nicht so lange konzentrieren.

RONDO: Zurück zu Beethoven. Gibt es einen konkreten Plan, wie man sich den 32 Sonaten annähert?

Lewis: Eigentlich sollte man mit der letzten Sonate anfangen, der Sonate op. 111. Sie ist die schwierigste. Ich habe sie schon mit 15 Jahren angefangen zu spielen, aber meine erste Sonate, die ich draufhatte, war op. 10,2.

RONDO: Eine Sonate, die Alfred Brendel besonders schön spielt. Brendel gilt als ihr Mentor, bei ihm haben Sie entscheidende Impulse erfahren. Hat er Ihnen bestimmte Ideen vermittelt, wie man Beethoven spielen soll?

Lewis: Natürlich habe ich ihm viele Sonaten vorgespielt. Und ich lege großen Wert auf seine Meinung. Aber wenn Alfred Brendel eines nie getan hat, dann dies: jemand anderem, der sich mit Beethoven beschäftigt, irgendwelche Vorschläge zu machen, wie er Beethoven spielen und verstehen soll. Die Kunst Brendels liegt darin, dass er einen dazu bringt, eben dies selbst zu tun.

Neu erschienen:

Beethoven

Klaviersonaten Nr. 16 – 18 (op. 31 / 1–3)

Paul Lewis

harmonia mundi

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Jürgen Otten, 28.02.2015, RONDO Ausgabe 4 / 2005



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