Mozart für Jazz zu bearbeiten ist schwer, fürchterlich schwer. An Stelle der barocken Fortspinnmotive, die Bach für den Jazzer zum gefundenen Fressen machen, haben wir es bei Mozart mit Gebilden zu tun, die in ihrer Originalform meist weder melodisch, harmonisch, rhythmisch noch strukturell (Sonatensatz, Menuett usw.) nach einem geborenen Jazzthema aussehen. Entsprechend kurios fielen in fast allen Epochen der Jazzgeschichte einschlägige Versuche aus. Geglückte Versuche wie Zbigniew Namyslowskis Jazz-Adaption des Klarinettenquintetts sind die Ausnahme von der Regel. Eine Herausforderung ist es freilich schon – zumal wenn der 250. Geburtstag naht und man der Flut der Neuerscheinungen zuvorkommen will.
Gestellt haben sich ihr der Pianist Christoph Cech und der Perkussionist Christian Mühlbacher, die beiden Komponisten, Arrangeure und Leiter von „Nouvelle Cuisine“, einer Wiener Formation, die schon 20 Jahre auf dem Buckel hat, aber überwiegend aus jungen Musikern besteht und so ihrem Namen alle Ehre macht. Einer von ihnen ist Christian Kornreif, österreichisches Saxofon-„Wunderkind“, der auf dem aktuellen Album „Mozart Revisited“ solistisch herausgestellt wird und dessen Haartracht die Kollegen immer gerne mit jener Mozarts vergleichen. Kornreif, ein junger Vollblutmusiker mit kraft- und fantasievollem Stil, ist auch der Jazz- First Award Winner 2005.
„Not to make a joke of it but take the soul of it“, erklärt Mühlbacher als Absicht. „Eigentlich kann der Klangkörper Bigband die Klangwelt Mozarts nicht transportieren“, gibt Cech zu bedenken, „doch um die Klangwelt geht’s nicht, es geht um die Themen, um den bestechenden Fluss von Mozarts Melodien, die sich mit faszinierender Leichtigkeit in der Enge der höfisch kadenzierenden Musik entfalten.“ Grundsätzlich schwierig an der Umsetzung findet Mühlbacher, dass sich Mozart „in seiner Musik ständig weiterentwickelt und quasi nie am selben Ort bleibt. Eine Bigband mit Solisten braucht hingegen breitere musikalische Felder, um sich aufzubauen“. Als Lösung sieht er bei der Entwicklung eigenständiger Musik, sich an thematischen, motivischen, harmonischen und rhythmischen Bausteinen Mozarts zu orientieren und typische musikalische Gesten und Wendungen einfließen zu lassen. Vor allem setzt er auf den Groovefaktor.
Damit sind Möglichkeiten aufgezeigt, aber auch die Grenzen. Die faszinierendsten Stellen sind – trotz beachtlicher solistischer Leistungen – jene, wo die Mozart-Bausteine selbst im Arrangement der Wiener im Klanggewand der Gegenwart erstrahlen. Die „Nouvelle Cuisine“ vollbringt gleich mehrere Spagate: zwischen Mainstream und Avantgarde, Gefälligkeit und Experiment, Bindung und Freiheit, kollektivem Gedächtnis (KV 331 war in Österreich Sandmännchen-Melodie!) und Neuland. „Um Beyfall zu erhalten, muß man Sachen schreiben, die so verständlich sind, dass es ein fiacre nachsingen könnte, – oder so, dass es eben kein vernünftiger Mensch verstehen kann“, meinte Mozart. Unsere Chefköche bewegen sich zwischen diesen Extremen, haben den Beyfall aber trotzdem verdient.
Marcus A. Woelfle, 28.02.2015, RONDO Ausgabe 4 / 2005
In deutschen Noten-Bibliotheken wird man an den Kopierern warnend auf die Nutzungsrechte […]
zum Artikel
Früher, ja früher. Da gingen die Opern- und Konzertbesucher sich – wie im legendären Wiener […]
zum Artikel
Brillant, wuchtig, transparent
Unter Dmitri Liss geht das Orchester mit der Sopranistin Olga Peretyatko und russischen Arien […]
zum Artikel