Startseite · Interview · Gefragt
Johannes Brahms brachte mit seinen „Ungarischen Tänzen“ das Konzertparkett zum Beben. Und während Operettenkönige mit ihren „Zigeunerbaronen“ und „Csardasfürstinnen“ ausgelassene Ungarn-Partys feierten, schlüpfte Maurice Ravel in die Rolle eines Zigeunerprimas, als er seiner „Tzigane“ extra scharfe Virtuosen- Würze auf die Violinsaiten streute. Seit dem 19. Jahrhundert boomt Ungarn unter Komponisten und Geigern. Doch vielleicht muss man tatsächlich aus Budapest kommen, um die slawische Melancholie sich so zu Herzen nehmen zu können, wie es jetzt Jozsef Lendvay gelingt. All diese von der osteuropäischen Folklore wie vom Wiener Caféhaus- Flair infizierten Evergreens legt Lendvay mit einer Delikatesse und natürlichen Virtuosität hin, die man auf den ersten Blick diesem Mann mit der erstklassigen Rocker-Mähne nicht zugetraut hätte.
Aber manchmal zahlt es sich eben aus, wenn man nicht frisch gescheitelt vors Publikum tritt. Wie vor zwei Jahren beim Internationalen Violinwettbewerb in Köln, bei dem Lendvay den Sonderpreis in Höhe von 1.500 Euro überreicht bekam – für virtuose Darstellung! Wer deshalb jedoch gleich für Lendvay die Schublade öffnen will, um ihn in der Kategorie „Großes Showtalent“ abzulegen, irrt gewaltig. Denn zuallererst ist Lendvay im Tiefsten seines Inneren ein ungemein ernsthafter Musiker, der in der anspruchsvollen Violinliteratur wie etwa in Mendelssohns Violinkonzert e-Moll oder in Max Bruchs erstem Violinkonzert farbenreiche Kantabilität ausatmet und dem manuellen Hochdruck mit makelloser Leichtigkeit begegnet. Schließlich hatte der heute 30-Jährige schon von Kindesbeinen an ein goldenes Händchen für die Violine. Mit gerade mal sieben Jahren gewann er in Budapest den ersten Wettbewerb, dann folgten bis zu seinem 15. Lebensjahr drei weitere Siegestrophäen. Und was für ein zukunftsträchtiges Wunderkind Lendvay war, erahnten nicht nur die Pädagogen am Béla-Bartók- Konservatorium und an der Franz-Liszt- Musikakademie. Selbst Mentoren wie Yehudi Menuhin, Ida Haendel, Igor Oistrach und Sándor Végh waren verblüfft.
Seitdem hat sich einiges getan, denn mittlerweile gastiert er beim City of Birmingham Orchestra oder beim Orchestre de la Suisse Romande. Mit seinem Streicher-Quintett, zu dem sich hier und da ein Czimbal und ein Akkordeon hinzugesellen, kehrt Jozsef Lendvay nun zu den gemeinsamen Wurzeln zurück. Im Stile einer bestens aufgelegten Caféhaus-Kapelle entspinnen sie einen Reigen voller Seelenleid und Seelenfreud. Dann beginnt Lendvays wertvolle Tesstore-Geige zu Tanzen, zu Kreiseln und in Pablo de Sarasates „Zigeunerweisen“ zu Springen. Und zwischendurch wird immer wieder eine Träne verdrückt.
Guido Fischer, 18.04.2015, RONDO Ausgabe 2 / 2005
Auf Holz geklopft
Dieser junge Mann beherrscht die seltene Kunst, auf seinem Schlagwerk zu singen – und bewirkt […]
zum Artikel
Musikalisches Hochamt
René Jacobs und das Barockorchester aus dem Breisgau sind eine verschworene Musikergemeinschaft. […]
zum Artikel
Zukunftsland der Klassik
Nur sehr wenige Dirigentinnen haben es wie Marin Alsop bislang in Spitzenpositionen bei […]
zum Artikel