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Nachdenkliche Töne: Gabriela Montero (c) G.M.
Anfang des Jahres feierte das derzeit weltweit bekannteste Musikernachwuchsprojekt seinen 40. Geburtstag. 1975 gründete José Antonio Abreu im fernen Venezuela „El sistema“, mit dem Kinder von der Straße und aus den Slums geholt und ihnen über die Musik eine neue Perspektive gegeben werden soll. Dieses Erfolgsunternehmen ist seitdem durch alle Medien gegangen – auch dank des berühmtesten „El sistema“-Abgängers Gustavo Dudamel, der es bekanntermaßen in die dirigierende Weltspitze geschafft hat. Der runde Geburtstag von „El sistema“ hat aber nicht nur Gratulanten auf den Plan gerufen, sondern auch so manch kritischen Geist. So hat der in London lehrende Musikwissenschaftler Geoffrey Baker ein Buch über den Sistema-Betrieb geschrieben, bei dem dieser nicht wenig schmeichelhaft wegkommt. Und den Gründervater Abreu, der Herr über ein 100 Millionen Dollar-Budget ist, beschreibt Baker als eine Mischung aus Steve Jobs und Kim Jong Il.
Wurde Bakers Publikation von vielen als eine eher reißerisch angelegte Zusammenstellung von Halbwahrheiten und Mutmaßungen abgetan, bekommt er jetzt in gewisser Weise Schützenhilfe von Gabriela Montero. Denn die venezolanische Meisterpianistin, die schon lange in den USA lebt, kratzt mittlerweile heftig am Heiligenbildchen „El sistema“. So ist es für Montero zum rein politischen Aushängeschild für ein System geworden, das nicht gerade demokratischen Standards gehorcht und zudem hochgradig korrupt und kriminell ist. Wie eng das Zusammenspiel aus Propaganda und Musik da funktioniert, wurde der Pianistin kürzlich mal wieder deutlich, als sie ein aufwendig produziertes Video entdeckte. Während die jungen Orchestermusiker von El sistema ein Volkslied spielen, protestieren venezolanische Sänger – darunter auch die Tochter eines Drogenbosses – gegen die Sanktionen der Obama-Regierung. Und wie ein Musiker danach Montero hinter vorgehaltener Hand erzählt hat, wäre man aus dem Orchester geflogen, wenn man nicht eine Petition von Präsident Nicolás Maduro unterschrieben hätte.
„El sistema ist inzwischen ein korrumpiertes Instrument der Macht und auch der Lüge“, so Gabriela Montero jetzt gegenüber der Tageszeitung „Die Welt“. Und für sie hatte schon der verstorbene Präsident Hugo Chavez gewusst, wie man das Projekt für sein Regime einspannen konnte. Dass Gustavo Dudamel sich daher bis heute unmissverständlich zu „El sistema“ bekennt, ist für Montero eine Schande. „Was er tut, ist Kollaboration“, findet Montero „Richtig wäre, Farbe zu bekennen, sich aus dem Projekt zurückzuziehen, das auf die falsche Seite geraten ist.“ Die Geburtstagsfeierlichkeiten, sie kochen ganz schön hoch.
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