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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Gregg Miles/Sony

Dee Dee Bridgewater

Hochprozentig Mississippi

Mit 65 Jahren zählt sie zu den Grand Old Ladies des Jazz. Das Gespräch mit ihr wurde zum knappen Rückblick auf Leben, Ruhm und Rassismus.

Gut gelaunt und ein bisschen müde vom Jetlag sitzt Dee Dee Bridgewater im Hotelzimmer. Ein Festivalauftritt im Teatro Alighieri von Ravenna liegt vor ihr, und der Flug steckt ihr noch in den Knochen. Ihre Welt, das sind Flüge, Konzertsäle, Festivals, gelegentlich auch Klubs. Eben jene Version des Jazzlife, wie ihn die internationalen Stars der Szene erleben.
Sie kennt auch die andere Seite. Anfang der 1970er wurde sie Sängerin im Thad Jones-Mel Lewis Jazz Orchestra – mit halber Gage, denn sie wurde nur als Dreingabe zu ihrem ersten Ehemann, dem Trompeter Cecil Bridgewater, einem Vollmitglied der Bigband, akzeptiert.
In jenen Jahren begann die Firma Atlantic, sie mit Softjazz und poppigem Funk zu vermarkten: ein erster Karrierehöhepunkt. Dann folgte die Flaute. Und der Wiederaufstieg. In den 1990ern war das Comeback geschafft. Das Album „Dear Ella“ erreichte Top-Platzierungen in den Charts und bei Kritikern und Fans, und es brachte 1998 zwei Grammys in ihr Wohnzimmer. Zwölf Jahre später wurde ihre Hommage an die Sängerin Billie Holiday mit einem dritten ausgezeichnet. „Preise“, sagt sie, „sind eine Anerkennung dafür, dass man einen Job gut gemacht hat. Aber ich mache nicht Musik, um einen Grammy zu gewinnen. Das Wichtigste ist, dass die Leute meine Konzerte fröhlich verlassen.“
Seit 2. April beherbergt der „Jazz Market“ in New Orleans eine nach ihr benannte Bühne. Damit dankte ihr der Trompeter und Impresario Irvin Mayfield für die Unterstützung als Ehrenvorsitzende der Trägergesellschaft des von ihm initiierten „Jazz Market“. Banken, Versicherungen und andere Firmen finanzierten das Musikzentrum mit einem 340 Sitzplätze umfassenden Saal, Unterrichts- und Proberäumen und einer Musikschule: eine moderne Heimstätte für den Jazz in der Stadt, die sich rühmt, Geburtsort des Jazz zu sein.

Verliebt in New Orleans

Zur Eröffnung sollte eine CD erscheinen, die Mayfield mit seiner Bigband, dem New Orleans Jazz Orchestra, und Dee Dee Bridgewater an drei Tagen im Studio „Esplanade“, einer durch den Sturm Katrina zerstörten und danach umgewidmeten Kirche, eingespielt hatte. Das Ergebnis gefiel ihr allerdings so gut, dass sie nun nicht auf einem lokalen Label erscheint: Dee Dee Bridgewater nutzte ihre Kontakte zum Chef des von Sony wiederbelebten Labels Okeh und brachte die Scheibe dort unter.
New Orleans hatte sie zuvor nur vom Durchreisen gekannt, gesteht sie. Und durch ihre Rolle in dem Musical „Sophisticated Ladies“, das in New Orleans gastierte, sowie von ein paar Konzerten, die sie in der Stadt gab, mal mit Combo, mal mit Bigband. „Schon damals habe ich mich in die Stadt verliebt“, sagt sie. „Ich liebe ihre Geschichte, ihre Architektur, das Essen. Es ist ein großartiger Ort.“ Irvin Mayfield hat sie ihr nahe gebracht. „Mich fasziniert seine Hingabe an seine Stadt.“
Inzwischen könnte sie sich sogar vorstellen, ihren Zweitwohnsitz in New York aufzulösen und in der Stadt am Mississippi eine Wohnung zu nehmen – als Ergänzung zum ersten Wohnsitz in Los Angeles. Dort lebt ihre demente Mutter in einer Pflegeeinrichtung. Ihren französischen Wohnsitz, Teil einer Schlossanlage, hat sie 2007 aufgegeben. „Die Mauern stammen aus dem 17. Jahrhundert”, hatte sie einst geschwärmt. „Das Alte ist wichtig. Man sollte erhalten, was die Identität eines Landes ausmacht. Mich stört, dass es McDonald’s, Kentucky Fried Chicken und Pizza Huts überall in der Welt gibt.”

Denise büffelt, Dee Dee prügelt sich

Das Schnelle, Oberflächliche ist ihre Welt nicht. Von dem wenigen, das ihr Vater, der Jazztrompeter Matthew Garrett, nach Hause brachte, „sparte meine Mutter immer etwas. Davon kaufte sie uns gute Kleider, weil die länger hielten als die billigen.“ Diese Vorliebe fürs Beständige stempelte die „Garrett-Sisters”, wie Dee Dee und ihre Schwestern im Viertel hießen, zu Außenseitern. „Die Leute rümpften die Nase und sagten: Was denken die, wer sie sind?“ Zumal Denise – so ihr Rückblick – sich zwar als „Dee Dee“ mit den Jungs in der Gegend rumbalgte und auch den einen oder anderen verdrosch. Als Denise hingegen war sie – eins von vier schwarzen Kindern unter 300 weißen Schulkameraden – eine laut Selbsteinschätzung „lerneifrige, sehr höfliche, sehr ruhige” Schülerin einer katholischen Privatschule. Eine, die Fremdsprachen büffelte, immer lächelte und dem Traum der Eltern nach einer besseren Zukunft entgegenstrebte.
Brav studierte sie an der Michigan State University und anschließend an der University of Illinois – allerdings nur ein Semester: „Ich war 1968 gerade achtzehn Jahre alt“, sagt sie und ergänzt, ein richtiger Hippie sei sie nie gewesen. „Gut, ich rauchte Pot, ging auf Blues Festivals, trug Batik-Kleider und warf 1969 meinen BH weg – aber nicht lange, denn meine Brüste waren zu groß und brauchten Halt.”
Während die Hippies von Love and Peace schwärmten, bewegte sich Dee Dee Bridgewater im Dunstfeld der Black Panther Party. „Nein, ich war nicht militant”, distanziert sie sich von Straßenschlachten. Sie marschierte bei Demonstrationen mit und vor allem beteiligte sie sich an der Gemeindearbeit der Organisation, insbesondere dem „Frühstücksprogramm”, das für Kinder armer schwarzer Familien Frühstückstische einrichtete.
Damals verkündete sie „Black Is Beautiful“. Heute wehrt sie sich dagegen, „african american” genannt zu werden: „Durch meine Adern fließt unterschiedliches Blut.“ Eine von ihr beauftragte DNA-Analyse ergab 73 Prozent afrikanische und 17 irische Anteile sowie Spuren der Native Americans und Hinweise auf asiatische und deutsche Vorfahren.
Wenn es nach Dee Dee Bridgewater ginge, könnte man die Hautfarben vergessen. Die Entwicklung in den USA hingegen beunruhigt sie: Dort spiele die Hautfarbe immer noch eine zentrale Rolle. „Wir werden eliminiert, wenn die Police Departments und die Republikaner freie Bahn haben“, wettert sie. „Sie haben die Polizeikräfte mit Waffen aus den Kriegen in Afghanistan und dem Irak ausgestattet. Für was zum Teufel braucht die Polizei Handgranaten? Das geschieht nur, um die schwarze Bevölkerung zu kontrollieren.“
Aber eigentlich, kommt sie auf das Anfangsthema des Gesprächs zurück, wollten wir über meine neue Platte reden. „Dass ich sie gemacht habe, feiert New Orleans und seine Wiedergeburt nach Katrina. Es war für die Leute aus New Orleans ein langer und schwerer Kampf, um wieder auf die Beine zu kommen. Es ist wunderbar, wie weit sie gekommen sind.

Neu erschienen:

Dee Dee’s Feathers

Dee Dee Bridgewater, Irvin Mayfield, New Orleans Jazz Orchestra

Okeh/Sony

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New Orleans Jazz

„New Orleans hat große Musiker wie Louis Armstrong hervorgebracht. in der Musik erkennt man natürlich die Geschichte. Die Rhythmen aus New Orleans liegen näher bei den afrikanischen Wurzeln als beim übrigen Jazz. Der Jazz aus New Orleans ist eine andere Musik als das, was ich normalerweise mache. Ich hatte zwar schon ein Arrangement von ‚Them There Eyes‘ mit einem New Orleans Beat in meinem Repertoire und sang auch ‚Basin Street Blues‘ mit einer Art von Second Line Beat. Aber vor der Platte mit Irvin Mayfield habe ich nie etwas gemacht, das auf die Stadt konzentriert gewesen wäre. New Orleans ist eine Stadt der Trompeter. Jedes Mal, wenn ich runter gehe, höre ich einen neuen, jungen, großartigen Trompeter. Da muss was im Trinkwasser sein. Oder im Mississippi.“ (Dee Dee Bridgewater)

Werner Stiefele, 06.06.2015, RONDO Ausgabe 3 / 2015



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