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Andris Nelsons (c) Marco Borggreve
Kürzlich sah sich Daniel Barenboim nach seiner Vorliebe, um nicht zu sagen: Schwäche für die „Zweite Wiener Schule“ befragt. Der Interviewer – ich war es selbst – fragte ihn, warum er sein Publikum immer wieder mit diesen „Grundsatzreferaten der Atonalität“ „quäle“. Da antwortete Barenboim prompt: „Na, Sie haben ja heute gute Laune!“
Tatsächlich ist es nicht so, dass sich die Werke etwa von Arnold Schönberg in den teils schon einhundert vergangenen Jahren ihrer Existenz vom Abonnentenschreck in Publikumslieblinge verwandelt hätten. „Variationen für Orchester“ oder „Die Jakobsleiter“ müssen sich am Kartenschalter immer wieder neu durchsetzen, als seien es Kratzbürsten der ersten Stunde. Indes hat sich herausgestellt, dass sich etwa Schönbergs Streichquartette praktisch mit allem möglichen kombinieren lassen, so wie sonst nur Beethoven. Er geht mit Mahler, Wagner und Debussy ebenso gern zusammen wie mit Schubert, Nielsen und Xenakis.
Das Musikfest Berlin, seit 2005 der vornehmste Salon für Orchestergastspiele in Deutschland, bringt in diesem Jahr das Kunststück fertig, Schönberg als Bindemittel so geschickt unterzumengen, dass man ihn kaum merken wird. Höhepunkte wie das San Francisco Symphony unter Michael Tilson Thomas (mit Schönbergs „Variationen“ op. 43b und Beethovens „Eroica“, 4.9.) oder das Israel Philharmonic unter Zubin Mehta (Schönbergs 1. Kammersinfonie und Mahler Neunte, 6.9.) verwenden die Stacheleffekte der Atonalität geradezu als Würzstoff des Bekannten. Mahler und Beethoven werden erst dadurch interessant, dass sie sich vom schroffen Modernitätsüberschritt abstoßen. Ein Geniestreich!
Ein Streichquartett-Zyklus, inzwischen als Seltenheit zu bestaunen, bietet daneben (in zwei Konzerten) die vier Nielsen-Quartette (+ Beethoven, 12./13.9.). Eine Portion mutiger als üblich geben sich Daniel Harding und das Swedish Radio Symphony Orchestra mit Mahlers „Lied von der Erde“ und Birtwistles „Earth Dances“ (15.9.). „Michaels Reise um die Erde“ von Stockhausen (2. Akt von „Donnerstag“ aus „Licht“) hebt danach gänzlich ab (18./19.9.). Und Simon Rattle mit den Berliner Philharmonikern schließlich fängt das Publikum mit Nielsens „Pan und Syrinx“ und Bernard Herrmanns „Psycho“-Filmmusik wieder ein.
Bei Lichte besehen, beschleicht Konzertgänger beim Anblick von Schönberg-Werken – egal in welcher Kombi – inzwischen ein leichter Eindruck von: Stammessen. Etwa nicht? Der moderne Meister ist die beliebteste Reisbeilage zum romantischen „Filet mignon“. Allerdings: Feigenblatt der Moderne wie früher einmal ist er nicht mehr!
Doch auch für den, der in der guten Stube der Moderne Platz nehmen möchte, ohne mit allzu dissonanter Kost verpflegt zu werden, hält das Programm Lösungen bereit. Zum Beispiel das Boston Symphony Orchestra unter Andris Nelsons mit Mahlers Sechster (5.9.). Oder den 2. Akt „Parsifal“ unter Donald Runnicles (mit Evelyn Herlitzius und Klaus Florian Vogt, 8.9.). Es ist bald so weit, dass wir den Unterschied zwischen Erster und Zweiter Wiener Schule, zwischen Beethoven und Berg kaum noch merken. Ist genau dies etwa das Ziel? Dream on, Honey!
Musikfest Berlin: 2. bis 20. September
www.berlinerfestspiele.de
www.musikfestberlin.drp-kulturtours
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