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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Manfred Esser/Haenssler Classic

Johannes Moser

Mit Verve und Schmelz

Mit neuer CD auf neuem Label schlägt der deutsch-kanadische Meistercellist ein neues Karriere-Kapitel auf.

RONDO: Herr Moser, wie man in Ihrem Tourkalender lesen kann, werden Sie in den nächsten Wochen und Monaten immer wieder in den USA, bei den Top-Orchestern aus Chicago, Cleveland, Boston & Co. konzertieren. Woher rührt eigentlich Ihr Draht gerade zu den amerikanischen Spitzenklangkörpern?

Johannes Moser: Es hilft natürlich, dass ich als halber Kanadier die nordamerikanische Mentalität einigermaßen verstehe und durchaus sehr schätze. Meine Zusammenarbeit mit den amerikanischen Orchestern geht auf eine langsame und beharrliche Aufbauarbeit der letzten zehn Jahre zurück. Dabei hatte ich Glück, dass ich direkt oben einsteigen durfte: Mein Debüt 2005 spielte ich damals beim Chicago Symphony unter Pierre Boulez. Wenn ich daran zurück denke, bin ich selbst erschrocken, wie draufgängerisch und gleichzeitig total naiv ich diese ersten Aufgaben angegangen bin. Frei nach dem Motto: „Ich habe nichts zu verlieren, volle Kraft voraus”. Anders als vielleicht in Deutschland fühlte ich mich in Amerika von Anfang an sehr befreit. Das hat sich natürlich auch in meinem Spiel niedergeschlagen. Und dieses Gefühl der Befreiung habe ich dann mit nach Europa nehmen können.

RONDO: Wie hat sich seit Ihrem Durchbruch beim Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb im Jahr 2002 grundsätzlich Ihr Blick auf das Leben als Profimusiker entwickelt?

Moser: Meine Sicht auf den Beruf ändert sich mit jeder Begegnung. Ich bin fasziniert, wie andere Musiker diesen so individuellen Beruf leben und ich muss zugeben, manchmal bin ich auch entsetzt. Ich hatte am Anfang meiner Karriere nicht geglaubt, dass so viel Zynismus mit dem Musikberuf einhergehen kann. Das ist eine Eigenschaft, die mich wirklich total abtörnt. Dabei ist die Gestaltungsvielfalt enorm, nur muss man eben die Initiative ergreifen. Es reicht heute einfach nicht mehr, dass man schön brav vor sich hin spielt. Man wird in diesen Beruf immer mehr auch zum Advokaten der eigenen Kunstform.

RONDO: Musikalisch leben Sie dieses Credo ja vorbildlich aus und vor. Mal gehen Sie mit der Spielzeug- Pianistin Phyllis Chen auf Tournee. Zwischendrin beschäftigen Sie sich mit dem elektronischen Cello. Und im letzten Jahr haben Sie im Rahmen Ihrer Frankfurter Residenz sogar mit rund 100 Hobby-Cellisten „Bruder Jakob“ gespielt …

Moser: Vielfalt und Kreativität bei der Auswahl meiner Projekte sind für mich genauso wichtig wie die Ausdifferenzierung einer musikalischen Phrase oder die Suche nach musikalischen Farben auf dem Cello. Kreativität generiert wieder Kreativität, und wenn man erst einmal diesen Kreislauf in Gang gebracht hat, will man davon nicht mehr lassen. Überhaupt ist die Begegnung mit anderen Musikern für mich immer wichtiger geworden. Lange habe ich etwa den schieren Genussfaktor der Kammermusik unterschätzt, und das lebe ich jetzt aus.

RONDO: Für Ihr Debüt als neuer Exklusivkünstler des niederländischen Pentatone-Labels haben Sie nun mit den Cellokonzerten von Antonín Dvořák und Édouard Lalo zwei „romantische“ Cello-Klassiker ausgewählt. Trotzdem ist das Konzert vom Dvořák-Zeitgenossen Lalo weiterhin längst nicht so bekannt. Woran liegt’s?

Moser: Das hat verschiedene Gründe. Zum einen teilt es das Schicksal etwa mit dem Konzert von Camille Saint-Saëns, dass es oft zu den ersten Konzerten gehört, die sich Schüler und Studenten vornehmen. Es liegt also in der Natur der Sache, dass diese Werke nicht immer gleich mit voller Meisterschaft erklingen und man sie deswegen eher erträgt als genießt. Andererseits ist das Lalo- Konzert ähnlich wie das seines französischen Landsmannes Saint-Saëns frei von jeglicher Metaebene. Damit unterscheidet es sich völlig von den anderen großen Cello-Konzerten. Bei Dvořák geht es um die Sehnsucht nach der Heimat und die verlorene Liebe. Elgars Cellokonzert ist ein Abgesang auf das alte Europa, und bei Schumann schwingt seine persönliche Krise mit. Und dann gibt es noch die Cellokonzerte von Schostakowitsch oder Prokofjew mit ihren politischen Programmen. Lalos Konzert ist hingegen Absolute Musik, mit viel Verve, fantastischer Energie, hingebungsvollem Schmelz, einem Schuss spanischen Flairs. Lalo kann weit mehr sein, als man gemeinhin denkt, und dafür setze ich mich ein!

RONDO: Ihre bisherige Diskografie erweist sich ja auch als Fundgrube. So haben Sie neben den Repertoire-Hits immer wieder Raritäten etwa von Zemlinsky und Honegger aufgenommen. Wie schwierig ist es, Produzenten und Konzertveranstalter eben auch von auf den ersten Blick nicht so zugkräftigen Stücken zu überzeugen?

Moser: Meine neun Jahre bei Hänssler Classics waren für mich in vielerlei Hinsicht unheimlich wichtig, vor allem in Bezug auf ungeborgene Repertoireschätze. Ich bin dem Label wirklich sehr dankbar, dass man sich nicht gegen dieses Repertoire gestellt hat. Ganz im Gegenteil: Hänssler und der SWR, der als Produzent fungierte, haben mich immer sehr ermutigt, individuelle Wege zu gehen. Irgendwie hat das auch den Konzertveranstaltern einige Berührungsängste genommen. So habe ich zum Beispiel die Sonaten von Zemlinsky und Britten dank meiner Einspielungen sehr oft im Konzert anbieten dürfen. Auch die Cellokonzerte von Hindemith und Bohuslav Martinů werden seit meinen Einspielungen immer öfter von mir verlangt – was mich sehr glücklich macht.

Erscheint am 11.9.:

Dvořák, Lalo

Cellokonzerte

Johannes Moser, PKF – Prague Philharmonia, Jakub Hrůša

Pentatone/Naxos

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Vielseitiger Viersaiter

Der aus einer Musikerfamilie stammende und von David Geringas ausgebildete Johannes Moser spielt ein Cello von Andrea Guarneri aus dem Jahr 1694, das aus einer privaten Sammlung stammt. An dem Instrument schätzt Moser die große individuelle Persönlichkeit und Klangfülle. „Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht täglich mit meinem Instrument ringen muss, um meinem Klangideal näher zu kommen“, so der 36-Jährige, der 2014 mit dem renommierten „Brahms“-Preis ausgezeichnet wurde. „Manchmal arbeite ich auch in eine bestimmte Richtung und bin dann ganz überrascht, dass mich mein Instrument mit einer ganz ungewohnten Nuance verblüfft. Aber das macht eben die alten Italiener aus: immer für eine Überraschung gut!“

Guido Fischer, 05.09.2015, RONDO Ausgabe 4 / 2015



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