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Hier klingt es, da singt es, es trötet und quietscht. Von überall her scheinen die Töne und Geräusche zu kommen, vereinen sich zu einem mal harmonischen, mal schrillen Miteinander. Auch wenn dies nur ein oberflächlicher Eindruck wäre, ist es immer wieder beeindruckend, wie viele Festivals es nach wie vor in den meisten polnischen Städten gibt. Quer durch alle Sparten, Richtungen, Größen. Die Kommunen in unserem Nachbarland haben offenbar einen besonderen Ehrgeiz, auch Deutschöngeistig zu glänzen und so neben den Einheimischen auch die Touristen anzulocken. Über das ganze Jahr ist der Festivalkalender dort prall gefüllt, egal ob Barockmusik, Chorgesang, Avantgarde, Chopin, Kammermusik oder Oper, für jeden Geschmack ist etwas dabei.
Auch und besonders in Breslau, polnisch Wrocław. Mit über 630.000 Einwohnern ist die Metropole an der Oder die viertgrößte Stadt Polens, Hauptstadt der historischen Region Schlesien und der Woiwodschaft Niederschlesien. Aus Deutschland gut zu erreichen über die zugegeben etwas wummernde alte Reichsautobahn, den Flughafen oder am bequemsten mit der Bahn, wo man gleich einen guten ersten Eindruck im riesengroßen, schön renovierten Hauptbahnhof bekommt. Von dort lässt sich bequem alles Sehenswerte mit der Straßenbahn erreichen.
Mit seinen zahlreichen historischen Bauten, den vielen Parkanlagen und Plätzen und der wechselvollen Geschichte zwischen Deutschen und Polen ist das in seinem alten Zentrum überschaubare Breslau ein wichtiger Anziehungspunkt für Besucher aus aller Welt. 2016 wird die Stadt neben dem baskischen San Sebastián Kulturhauptstadt Europas und Verleihungsort des Europäischen Filmpreises sein. Und deshalb wird immer noch an vielen Stellen gebaut und renoviert. Dazwischen aber wuseln vor allem Studenten, 130.000 sollen es sein. Breslau ist eine junge Stadt. Natürlich kann man die Wunden des Krieges noch erkennen, als sich Deutsche und Russen 1945 erbitterte Gefechte um die „Festung Breslau“ lieferten, doch man hat vieles wiederaufgebaut oder zumindest das Stadtbild wieder harmonisch geschlossen.
Breslau steht seit Jahren im Ruf, eine der dynamischsten Großstädte Polens zu sein. Ostblock ist passé, Multikulti ist in. Die Zeiten, da jeder aus Polen, wenn er nur konnte, gen Westen flüchtete, sind vorbei. Man spürt es: Breslau ist eine Stadt, die immer in einer Grenzregion lag, wo Tschechen, Polen, Deutsche und Juden nebeneinander lebten und gut miteinander auskamen. Nach dem Krieg strömten die Vertriebenen aus dem Osten nach Breslau. Sie brachten eigenen Geist mit, der die Stadt einzigartig bereichert hat.
Hier tobt das Leben. Nicht nur auf dem von alten Patrizierhäusern mit prachtvollen Giebeln und Handelskontoren umstandenen Ring, dem mittelalterlichen Marktplatz, einem der größten Europas, oder nebenan am Salzmarkt, wo heute Tag und Nacht Blumen verkauft werden. Auch heute noch werden die großen Kirchen gern für Konzerte genutzt, wie der Dom auf seiner Insel, die Elisabethkirche mit ihrem hohen, einen wunderbaren Blick über das Zentrum gewährenden Turm oder St. Maria auf dem Sande. Ebenso aber auch die barocke Universitätsaula Leopoldina.
Auch und besonders für das Herbstfestival Wratislavia Cantans, das dieses Jahr vom 6.– 19. September zum 50. Mal stattfindet. Ein Septemberabend, eine Kirche, ein Oratorium von Bach oder Händel – das sind die typischen Assoziationen für das Festival, das freilich immer auch neuere und neuste Vokalmusik im Programm hatte und hat. Aber man suchte auch nach polnischen Barockperlen etwa dem Magnificat aus der Sammlung „Offertoria et communiones totius anni“ von Mikołaj Zieleński, der diese Werke dem venezianischen Polychorstil nachbildete. Dort wurden sie übrigens auch veröffentlicht. Seit 2013 ist Giovanni Antonini künstlerischer Leiter des Festivals. Dem polnischen Publikum ist er in erster Linie durch seine Auftritte mit Il Giardino Armonico und durch die Uraufführung der Oper „Ottone in Villa“ von Vivaldi bekannt, die 2010 im Rahmen des Projektes Opera Rara im Juliusz-Słowacki-Theater in Krakau aufgeführt wurde.
Am 4. September ist es dann endlich so weit: Dann wird die neue Konzerthalle des Nationalen Musikforums in Breslau in einem feierlichen Eröffnungskonzert durch das NFM Symphony Orchestra, den NFM Choir sowie das NFM Leopoldinum Chamber Orchestra eingeweiht. Eine imposante Schachtel, hingewuchtet auf die Altstadt- Promenade gleich neben dem Schlossrest der preußischen KöKönige, von außen mit Kupferbänder ummantelt, innen großzügig. Wie ein Streicherkorpus schwingt der mit 1800 Plätzen größte der vier Säle aus, futuristisch in Lackschwarz gehalten und unverkennbar von Artec aus New York und dem Akustik-Guru Russell Johnson designet. Sicherlich ein weiteres Konzerthaus- Glanzstück in einem Land, das erst unlängst neue Philharmonien in Kattowitz und Stettin eingeweiht hat.
Natürlich muss man sich hier ebenfalls um das Publikum bemühen, vor allem soll die Region mit großen Singprojekten in die neue Philharmonie gelockt werden. Doch zehn Ensembles, vom Orchester bis zum Streichtrio, sind im Nationalen Musikforum zusammengeschlossen und garantieren eine funktionierende Grundbespielung des ambitionierten Hauses.
Hier also schlägt künftig das musikalische Herz der Stadt, denn direkt neben dem neuen Konzertsaal erhebt sich die klassizistisch schmucke Oper. Das Gebäude des Stadttheaters in Breslau ersetzte 1841 einen erheblich kleineren und zu dieser Zeit bereits sehr heruntergekommenen Theaterbau von Carl Gotthard Langhans aus dem Jahr 1782. Die elegante Architektur an der vornehmen Schweidnitzer Straße entstand nach einem Entwurf seines Sohnes, Carl Ferdinand Langhans.
Seit 1995 wird das Haus von der Dirigentin Ewa Michnik geleitet, die nicht nur in Polen längst eine Institution ist. Geschickt hat sie es verstanden, auch in finanziell schwierigen Zeiten durch Gastspiele Geld zu verdienen und auf dieses interessante Theater aufmerksam zu machen. Vor allem in Deutschland ist sie erfolgreich auf Kundenfang gegangen, und so sieht man vor der Türe immer wieder deutsche Reisebusse. Vor allem dann, wenn einmal im Jahr auch noch die Zweitspielstätte dazukommt, die spektakuläre Jahrhunderthalle am Stadtrand, ein wegweisender Spannbetonbau der Moderne, wo heute Verdis „Aida“ oder Borodins „Fürst Igor“ mit großen Aufwand als Massenspektakel in Szene gesetzt werden. Auch für Wagner- Opern hat sich die Halle schon als durchaus geeignet erwiesen. Im Haupthaus kann man dagegen immer wieder die Opern des polnischen Nationalkomponisten Stanisław Moniuszko sehen oder die ausgefallene „Chopin“-Oper des Italieners Giacomo Orefice, uraufgeführt 1901 in Mailand.
www.wratislaviacantans.pl
www.nfm.wroclaw.pl
www.opera.wroclaw.pl
Das renommierte Wratislavia Cantans-Festival findet dieses Jahr zum 50. Mal vom 6.–19. September statt. Vor einigen Jahren war es die einzige Gelegenheit, hinter dem Eisernen Vorhang weltbekannte Künstler zu treffen. Heute kommen unter der Festivalleitung von Giovanni Antonini namhafte Dirigenten, Instrumentalisten und Sänger nach Breslau, um gemeinsame Konzerte mit den Ensembles des Nationalen Forums der Musik zu organisieren. Zum ersten Mal steht dem Publikum und den Musikern ein Konzertsaal, der den höchsten Standards entspricht, zur Verfügung und zwar das Gebäude des Nationalen Forums der Musik, ein Raum, wo Vokal- und Instrumental-Werke in schönstem Klang ertönen.
Matthias Siehler, 29.08.2015, RONDO Ausgabe 4 / 2015
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