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Warum nannte Tschaikowski seinen „Eugen Onegin“ – die Nationaloper der Russen schlechthin – im Untertitel „Lyrische Szenen“? Weil es sich nur um eine „Meditation über Themen Puschkins“ handelt. Das meint jedenfalls Regisseur Barrie Kosky. Tschaikowski habe viel weggelassen und seinen Tribut gegenüber der tableauhaften, unpsychologischen russischen Oper abgestattet. Gutes Argument! Daran kann man ablesen, dass Kosky seine Meriten an der Komischen Oper in Berlin nicht nur als Erfinder eines ‚schwulen Berliner Busenwunders’ – mit Hinternwackeln – erreicht hat. Er kann auch nüchtern sein.
Die Duell- und Emanzipationsgeschichte um die erotisch initiativ werdende Tatjana bettet Kosky weich auf einen langhalmigen, die ganze Bühne überwachsenden Wiesenteppich. Ein russisches „Frühstück im Grünen“. Mit ungeahnt pastoralen, idyllischen und romanzenhaften Zügen. Kokette Publikumseffekte gibt es diesmal gar nicht. Da erstmals auf Russisch gesungen wird, verpflichtete man stattdessen internationale Sänger, die man zur deutschen Sprache wohl kaum hätte überreden können.
Asmik Grigorian singt die Tatjana großartig in ihrer Entwicklung von der Romantikerin zur Society-Realistin. Günter Papendell legt die Titelrolle etwas röhrend an, auf Schallkraft bedacht; trotzdem sein bislang bester Auftritt. Und Aleš Brescein als Lensky, mit hell schmelzendem Tenor: Besser ist in den letzten 25 Jahren an diesem Haus selten gesungen worden. Generalmusikdirektor Henrik Nánási, der seinen Vertrag 2017 auslaufen lässt, trifft nach anfänglicher Koordinationsmühe den brüchigen, nicht vollfetten Fluss des Werkes gut (am Besten in der Polonaise). Das Orchester profitiert hier immer noch von Vor-Vorgänger Kirill Petrenko, dessen Paradestück „Eugen Onegin“ war. Tatsächlich merkt man erst im Nachhinein, welche Herkulesarbeit Petrenko seinerzeit still schulterte. Alles in allem: In welch schöner Blüte steht dieses Haus!
Robert Fraunholzer, 09.04.2016, RONDO Ausgabe 2 / 2016
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