home

N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Felix Broede

Isabelle Faust

Italienisch angeheizt

Der Violinistin gelingt mit dem Ensemble Il Giardino Armonico eine herrliche Neuaufnahme von Mozarts Violinkonzerten.

Ist denn Mozart ein dermaßen schlechter Komponist?! So minderwertig, dass man mit ihm warten muss, bis man, nun ja, doch inzwischen auch Mitte 40 ist? Isabelle Faust, Star-Geigerin aus Esslingen am Neckar, gehört zu den drei, vier besten Violinisten aus Deutschland (neben mindestens Christian Tetzlaff, Frank-Peter Zimmermann und, na klar: Anne-Sophie Mutter). An Mozart hatte sie sich bislang nicht rangetraut.
„Ist sehr, sehr schwer“, sagt sie offen. „Mozart wirft heute dermaßen viele Fragen auf, die man nicht klar beantworten kann …“ Da muss man sich eben extrem ein Herz fassen, um ihn zu stemmen. Wie sagt man über Mozart: Für Kinder zu leicht, für Erwachsene zu schwer! Der wunderbaren Doppel-CD mit Faust hört man es nicht an.
Das hängt mit der Kombi zusammen. Dem Dirigenten Giovanni Antonini und Il Giardino Armonico, sonst Haus-Ensemble bei Cecilia Bartoli, kommt das historische Verdienst zu, eine sprühteufelige Sanguinik, ein aggressiv spritzwütiges Genusswesen in die Barock-Musik eingebracht zu haben. Etwas Italienisches also, wo zuvor eher treue Exegese herrschte. Auch Mozart schaut Antonini „von links“ an, so Isabelle Faust. Nämlich als Barock-Nachfolger, bei dem der klassische Geist von schalkhafter Dekorationswut erschüttert wird. „Das ist ganz richtig so“, bestätigt die Violinistin, „schließlich hat Mozart die Violinkonzerte noch verhältnismäßig früh komponiert. Er klemmt noch an der Violine, so wie sein Vater es von ihm erwartete.“ Barocke Elemente oder, wie Faust meint, „die Fesseln“ hängen noch an ihm, „auch wenn ihm schon ganz neue, vorwitzige Sachen einfallen“.
Entspricht dieser anarchisch radikalisierende, sogar karikierend verzerrende Mozart, wie wir ihm bei Antonini begegnen, auch dem Temperament der deutschen Gründlichkeits- Geigerin Faust?! „Das Ensemble ist eher ein Komplement zu mir“, gibt sie offen zu. Genau das ist die Pointe! Wo Faust mit Schlürf- und Schnappatmungs-Effekten der historischen Aufführungspraxis huldigt, da werden ihr von den Italienern ordentlich Beine gestellt und Glitzer-Konfetti auf die Finger gestreut.
Das bringt wirklich was. ‚Er gab ihr Klasse, sie gab ihm Sex’, so hieß es einst über das Film- Tanzpaar Fred Astaire und Ginger Rogers. Ähnlich hier, nur umgekehrt. Sie gibt ihm strukturierende Klasse, er gibt ihr vibrierenden Sex. Und das ohne viel Vibrato. Schließlich repräsentiert man immer noch die Speerspitze historischer Rundum-Informiertheit. Neuestes Stadium: italienisch durchpulst und historisch knusprig gebacken.

Ohne Kleber und Verstärker

Mit der Doppel-CD rundet sich eine Traumkarriere unter den Geigerinnen, die im Schatten des Branchen-Glamours auf Touren kam. Isabelle Faust war die Erste, die mit Claudio Abbado das Beethoven- und das Berg-Violinkonzert aufnahm. Ihre Schubert- und Brahms-Duos mit ihrem Lieblings-Klavierpartner Alexander Melnikov bestachen durch röntgenologischen Intimblick. Nur dass sie dabei klug genug war, den großen Marktplatz eines Major-Labels zu meiden. Lange schon hat sie stattdessen exklusiv beim Label harmonia mundi France angeheuert. Hier wird klassische Nachhaltigkeit vorbildlich praktiziert, nur der ganz große Presserummel geht eher an einem vorüber. „Wo Faust mit Schlürf- und Schnappatmungs- Effekten der historischen Aufführungspraxis huldigt, da werden ihr von den Italienern ordentlich Beine gestellt und Glitzer-Konfetti auf die Finger gestreut.“ Faust gehört auch zu den wenigen ‚traditionellen’ Geigern, die konsequent auf historisch umschalten können. „Ich will nicht alles gleich spielen“, sagt sie schlicht, und rüstet dafür so oft als nötig von Stahl- auf Darmsaiten um, wenn ein Werk es von ihr verlangt. „Rhetorik in der Musik bedeutet, dass nicht nur der große Bogen, sondern das Relief der Sprache herausgearbeitet wird“, so Faust. Man muss so spielen, „dass man sich Worte dazu denken kann“. Und im Fall Mozarts: „von der Opernsprache her!“ Alte Instrumente sind dabei nur die eine Seite der historischen Medaille. „Der Bogen klebt nicht so auf der Saite“, sagt Faust. Also klingt’s auch nicht klebrig.
Einem luftigen Zeitalter wie dem Rokoko, dem man Mozart teilweise zuordnen könnte, entspricht das perfekt. Diese Epoche – mit Repräsentanten wie Casanova, Wieland, Fragonard und Boucher – legte Wert auf Freizügigkeit, Frivolität und Lebensgenuss. Lorenzo da Ponte, ebenfalls Vertreter dieser Zeit, wurde nicht zufällig Mozarts wichtigster Librettist. Rokoko – aber ohne spitzentüchleinhafte Verzärtelung – hört man heraus bei Faust und bei Antonini.
Für die Aufnahme hat die Geigerin übrigens ihren alten Freund, den Cembalisten Andreas Staier, animiert, neue Kadenzen für sie zu schreiben. „Für sich selbst schreibt er immer schon die schönsten, die man sich nur denken kann.“ Im Konzert gespielt hat Faust die fünf Werke schon oft – auch mit Il Giardino Armonico. Trotzdem wurde die Aufnahme zur größten Herausforderung, „noch stärker als bei Bach“. Weil Mozart eben „einer der besten und fragilsten Komponisten zugleich ist“. Bisschen zu sehr nach links, und „schon fällt das Kartenhaus in sich zusammen“. Mit „Witz und Theatralik“ müsse man sich dem nähern. Das ist ‚der Fausten’, italienisch angeheizt, sehr schön gelungen. Dieses Jahr, schon aufgrund dieser Aufnahme, ist ein Mozart-Jahr.

Neu erschienen:

Mozart: Die Violinkonzerte

Isabelle Faust, Giovanni Antonini, Il Giardino Armonico

hm

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Und was gibt’s sonst noch?

Mozart, das ist eine Großbaustelle. Zwar leuchten frühere Katalog-Klassiker wie der lyrisch klare Arthur Grumiaux (1961 – 1964 unter Colin Davis) oder Isaac Stern (1960 ff. unter George Szell) historisch unvermindert. Spätestens seit Gidon Kremer indes (1983, unter Nikolaus Harnoncourt) hat sich der Stil gewandelt: weg vom Legato, hin zum rhetorisch aufgeklärten Historismus. Dem italienischen Barock-Geiger Giovanni Carmignola gelang 2007 ein schöner Wurf (mit Claudio Abbado). Herber im Ton: Thomas Zehetmair (gleichfalls 2007, unter Frans Brüggen). Leider noch unvollständig: Viktoria Mullova. Eher verzichtbar: David Oistrach, Anne-Sophie Mutter und Julia Fischer.

Robert Fraunholzer, 29.10.2016, RONDO Ausgabe 5 / 2016



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Kronjuwelen

Magazin

Schätze für den Plattenschrank

„In seinem unvergleichlichen Können und der Universalität seiner Mittel erinnert er an […]
zum Artikel

Gefragt

Klara Min

Schumann, fan-Tastisch

Die koreanische Pianistin hat ein kontrastreiches Album mit literarisch inspirierten Werken von […]
zum Artikel

Volt & Vinyl

Volt & Vinyl

Einsame-Insel-Bach

Bachs sechs Cello-Suiten sind auch für Yo-Yo Ma mehr als nur musikalisches Grundnahrungsmittel. […]
zum Artikel


Abo

Top