Startseite · Interview · Gefragt
(c) Diana Domin
Man muss gar nicht den Titel lesen: „Consolation – Tröstung“. Schon das Cover lässt an eine versunkene Kindheit denken, an ein fernes Land mit seiner exotischen Folklore. Aber das junge Mädchen wendet sich vom Betrachter ab. So wie sich die renommierte Pianistin Natalya Pasichnyk von ihrer Heimat abgewendet hat. Polnisch-ukrainischer Abstammung, wurde sie in Lwiw geboren, heute Ukraine, davor polnisch, davor als Lemberg die Hauptstadt des österreichischen Kronlands Galizien. Vielvölkerstadt. Und in Olgas Kindheit eine russische Teilrepublik. Sie ging weg, als das Land wieder unabhängig wurde, erst nach Polen, dann nach Schweden, wo sie seit über 20 Jahren lebt.
„Natürlich wurde der Begriff Heimat relevant für mich, als plötzlich die Russen wieder in der Ukraine standen“, erzählt sie, „und als ich zurückkam, erlebte ich ein ganz anderes Land. Plötzlich bemerkte ich, dass ich eigentlich kaum etwas von der Musik dieses Landes wusste. Die es natürlich auch gab, unterdrückt im 20. Jahrhundert von den Russen. Unsere Komponisten hatten kaum die Möglichkeit, große Werke zu schreiben, viele wurden auch verhaftet und deportiert, von manchen fast ihre gesamten Werke vernichtet, die Noten zerstört. So war immer schon im 19. Jahrhundert mit seinem nationalen Aufbruch die Sehnsucht nach einer eigenen Musik da, die sich besonders in Kammermusikwerken manifestierte.“
So kam Natalya Pasichnyk auf die Idee einer CD mit ukrainischer Musik, die Zeugnis ablegen sollte von der Lebenslust und der Melancholie ihrer Landsleute, von ihren Noten gewordenen Mythen, ihrer Auseinandersetzung mit der europäischen Klangkunst. Die Werke zu finden, war noch das geringste Problem. Sie musste eine Plattenfirma überzeugen, dass diese Musik hörenswert ist. Was ihr bei BIS aber erstaunlich schnell gelang. Genauso wie sie ihre Schwester, die Sopranistin Olga Pasichnyk, und ihre schwedischen Musikfreunde (samt einem Bariton aus Südafrika) motivieren konnte, einzusteigen. Nach dem Studium der Partituren fingen alle meist sofort Feuer. Inzwischen haben einige die Werke auch in ihr Repertoire aufgenommen. Eine professionelle Videotruppe drehte zudem einen Imagefilm – und alle taten sie das kostenlos, weil sie vom Projekt und diesen unbekannten Klängen begeistert waren.
Ein bunter Mix aus Stilen und Handschriften ist hier gelungen. Es finden sich Lieder für Sopran und Bariton, Kammermusik für Cello, Geige, Klarinette, Klavier. Die zu entdeckenden Komponisten heißen Mykola Lysenko, Viktor Kosenko, Myroslav Skoryk, Yuliy Mejtus, Levko Revutsky, Borys Lyatoshynsky, Kyrylo Stetsenko, Mykola Kolessa, Vasyl Barvinsky und Arkady Filippenko. Jeder, und sei sein Beitrag noch so kurz, ist es wert, gehört zu werden. Bekannt im Westen wurde einzig der 1937 geborene, gern von Gidon Kremer gespielte Valentyn Sylvestrov. „Aber auch den anderen möchte ich jetzt eine Plattform geben. Und wenn der eine oder andere davon, dann wieder etwas mehr auch außerhalb der Ukraine gespielt werden würde, dann wäre ich sehr, sehr glücklich“, sagt die jetzt schon stolze Initiatorin dieser klingenden Überraschungsbox.
BIS
Matthias Siehler, 31.12.2016, RONDO Ausgabe 6 / 2016
Mit Leidenschaft
Haydn-Liebe genreübergreifend: Auch beim sechsten Herbstgold-Festival in Eisenstadt wird der […]
zum Artikel
Unser Stammgast im Wiener Musiker-Wohnzimmer
Wenn **Jonas Kaufmann** an der **Wiener Staatsoper** als **„Andrea Chénier“** gastiert, wird […]
zum Artikel
Für die Schweiz kommt es momentan knüppeldick. Die Banken müssen ihren ramponierten Ruf […]
zum Artikel