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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Cecilia Bartoli:

Der unsichtbare Dritte

Er war Bischof, Musiker und Spion: Cecilia Bartoli öffnet das Diplomatengepäck von Agostino Steffani und heraus kullern die herrlichsten Arien-Juwelen.

Ob sie ein Problem mit der katholischen Kirche habe? Sie stutzt. Das Cover der neuen CD spielt mit Assoziationen an Exorzismen und blutig geführte Inquisition. Aber nein. „Im Gegenteil, ich mache Werbung für einen von Ihnen! Einen Priester, der sehr viele Talente hatte: Er war ein begnadeter Musiker, ein feinfühliger Diplomat und Politiker – die Kirche sollte stolz sein. Ich hoffe, Ratzinger wird sofort ein Konzert mit der Musik des großen Agostino Steffani in Rom veranstalten.“
Die „Mission“, auf die der Titel anspielt, ist das offizielle, das nach außen sichtbare Leben Steffanis. Mit sechsundzwanzig Jahren wird er zum Priester geweiht, später sogar zum Titularbischof. Ab 1688 ist er am Hof Herzog Ernst Augusts von Hannover zu finden. Seine wichtigste Aufgabe, die Rekatholisierung des protestantischen Hannover, wird seine größte Niederlage, obwohl er gekrönte Häupter wie Sophie Charlotte von Preußen zu Herzensfreunden gewinnt. Doch wie er ihr in einem Brief gesteht, ist es nicht Ruhm und Ehre, was ihn antreibt, sondern allein die Musik. Das geheime Leben des Agostino Steffani. Und dem verhilft Cecilia Bartoli zu neuem Glanz.

Ein Katholik auf feindlichem Terrain

Denn gleichzeitig war Steffani ein in der Münchner Hofkapelle exzellent ausgebildeter Musiker, den es im Rahmen seiner diplomatischen Reisen bis nach Paris verschlug, wo er vor Ludwig XIV. Cembalo spielte. „In seiner Dreifachrolle als Priester, Politiker und Diplomat musste er zugleich sehr vorsichtig vorgehen,“ so die Bartoli. Ein Musiker in geheimer Mission. Wobei ein solcher Agententhriller noch kein gutes Album macht. „Den Ausschlag hat die Musik gegeben: Man kann hier die reiche Quelle erkennen, aus der viele heute weitaus bekanntere Komponisten schöpften. Steffanis erfolgreiche Hannoveraner Opern hatten starken Einfluss auf die Entwicklung der Hamburger Oper, auf Keiser und Händel. In vielen Werken, in ‚Theodora‘, vor allem aber dem zweiten Akt von ‚Ariodante‘, ist das mit Händen zu greifen. Der junge Händel lernte Steffanis Musik wahrscheinlich schon in Rom kennen, vor allem dessen Kammerduette, die ihn sehr inspirierten.“

Barocker Arienschmelz zu Renaissance-Instrumenten

Aber nicht nur die Oper hat der apostolische Vikar nach Norddeutschland getragen, auch musikalisch bildet er eine Brücke: „Hier mischen sich der französische Einfluss Lullys und barocke Melodiebögen mit der instrumentalen Farbigkeit der Renaissance und ihrer Freude am Tanzrhythmus“, so die Bartoli. Das Schweizer Ensemble I Barocchisti trumpfen neben den üblichen Streichern auch mit vier Gamben, Erzlaute, Barockgitarre, Chitarra battente, zwei Theorben und allein fünf Cembalisten auf, dazu in Luxusbesetzung Maurice Steger an einer der drei Blockflöten. „Mit meiner Arienauswahl wollte ich zeigen, wie vielseitig talentiert und harmonisch versiert Steffani war. Dass er nicht nur Trompetenarien und wunderschöne, berührende Lamenti zu komponieren verstand, sondern gleichzeitig Humor besaß und Charakterarien mit fetzigen Tanzrhythmen erfand – manches würde ich sogar direkt als jazzig bezeichnen. Die Arie ‚Ogni core può sperar‘ wiederum ist eine Chaconne und verrät älteren Einfluss.“
Das klingt nach barockem Gitarren-Pop, nach Instrumentenzauber und Tambourin, schleudert eine gute Sängerin sowas nicht mit Leichtigkeit hin? Im Gegenteil, denn die Extreme liegen in der Oper des 17. Jahrhunderts noch sehr eng beieinander. „Ich liebe diese Arie der Niobe, die nur von Erzlaute begleitet wird, noch ganz nah an Monteverdis Musik und unglaublich tief empfunden, das verschlägt einem den Atem. Aber neben dem recitar cantando des Frühbarock kennt diese Musik auch schon die Virtuosität der Kastraten. Dazu kommen die schnellen Wechsel: Man muss in der Lage sein, von den Ansprüchen einer virtuosen Barockarie bis in die Subtilität einer Monodie zu springen, in einem Augenblick. Man muss seine Stimme gut unter Kontrolle haben.“ Wäre es da sogar leichter, eine Vivaldi- Platte zu machen? „Nichts ist einfach, aber bei Vivaldi weiß man, was einen erwartet. Es gibt ein Ausdruckslevel, die Arienform ist klar. Steffani ist dagegen sprunghaft, ich würde sagen, in dieser Hinsicht komplexer, er fordert viel rhythmische Freiheit.“ Die Gestalt der Arien ist hier noch ganz dem Text geschuldet. Macht die Figur eine emotionale Wendung oder hält inne, fällt das Arioso in den Sprechgesang zurück und umgekehrt. „Dazu kommt, dass Steffani seine Instrumente sehr präzise einsetzt, um Atmosphäre zu erzeugen, manchmal überliefen mich richtige Schauer bei den Aufnahmen. Er hatte einen untrüglichen Sinn für die Wirkungen des Musiktheaters“, stellt die Mezzosopranistin überzeugt fest.

Die Mission der Bartoli

Für die Wiederentdeckung dieser Wirkung hat Cecilia Bartoli kräftige Unterstützung eingeholt. „Zum ersten Mal konnte ich mit Diego Fasolis zusammenarbeiten, der dem Orchester unglaubliche Klänge entlockt hat. Und Philippe Jaroussky ist ein idealer Duett-Partner, der sowohl die Feinfühligkeit, als auch die nötigen Kenntnisse über die Musik des 17. Jahrhunderts mitbringt. Seine tessitura ist meiner sehr ähnlich und wir haben in der Musik größtmögliche Verschmelzung versucht.“
Darüber hinaus ließ sich auch der bekennende Barockopernfan Donna Leon von Cecilia Bartoli zu einem Krimi um Steffanis Nachlass inspirieren. „Ich sagte ihr nur, ich arbeite an einem Komponisten, der Händel beeinflusst hat. Das hat gereicht und sie war Feuer und Flamme.“ Buch und CD erscheinen nun parallel, aber das Doppelpack ist tatsächlich ein Wunsch der Künstler, kein Marketing-Schachzug. „Das ist wie in der Oper, ein Miteinander der Kunstformen. Die CD erzählt weiter, was das Buch nicht ausdrücken kann und umgekehrt.“ Was die Werbestrategen bei Ankündigung eines CD-Projektes mit Arien eines unbekannten Komponisten gesagt haben, bleibt Geheimnis. „Ich habe meiner Plattenfirma gesagt, dass ich von dieser Musik überzeugt bin, und sie haben sich drauf eingelassen. Übrigens: Als ich Vivaldi 1999 herausgebracht habe, war das noch kein Topseller. Und wie damals war auch hier die Beschränkung auf 80 Minuten das am meisten frustrierende.“
Nun bricht die Bartoli eine Lanze für Agostino Steffani und leiht ihm etwas von der Aufmerksamkeit, die ihre Projekte genießen. Sicher werden viele Intendanten, Dramaturgen und Musiker seine Partituren durchforsten und im Windschatten dieses Albums prüfen, ob sich abseits der hier aufgereihten Barockperlen weitere Funken schlagen lassen. Die Geschichte eines turbulenten Lebens zwischen Kirche und hoher Diplomatie verkauft sich gut als Einstieg, aber gerät in den Hintergrund, sobald man den Arien zuhört. Steffanis Musik kann gut für sich selbst sprechen, wenn sie so überzeugt und überzeugend präsentiert wird wie hier. Da hat Cecilia Bartoli ihrem Vornamen mal wieder alle Ehre gemacht.

Agostino Steffani

Mission (Opernarien und Duette von Agostino Steffani)

Cecilia Bartoli, Philippe Jaroussky, Diego Fasolis, I Barocchisti

Decca/Universal

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Zwei geheimnisvolle Truhen

Donna Leons Roman „Himmlische Juwelen“, der nun mit der Steffani-CD der Bartoli erschienen ist, begleitet die Musikwissenschaftlerin Pellegrini bei Durchsicht zweier barocker Truhen voller Schriften und Noten – dem Nachlass Steffanis, um den sich zwei mehr als fragwürdige Cousins als „Erben“ entzweit haben. Zu Beginn des neunten Kapitels ist Caterina Pellegrini erstmals allein mit den Schriftstücken:

„Sie hörte auf zu kippeln, zog das Päckchen näher zu sich heran, knibberte den Knoten auf, wickelte die Schnur um ihre Finger zu einem ordentlichen Oval und legte sie in die oberste Schreibtischecke. Fast dreihundert Jahre alt und nicht brüchig, immer noch brauchbar. Der erste Brief, datiert vom 4. Januar 1710, war auf Italienisch in der Handschrift eines Italieners verfasst. Der Adressat war: ‚Il mio fratello in Cristo Agostino‘. Caterina fasste das Papier an den oberen Ecken und hielt es gegen das Licht. Es war kein Wasserzeichen zu erkennen, aber das Papier wirkte tatsächlich sehr alt. Die Schrift zu entziffern war nicht ganz einfach, die Sprache und der inhaltliche Zusammenhang machten ihr keine Schwierigkeiten. Zunächst ging es um die Oper Tassilone; der Absender hatte das unermessliche Vergnügen gehabt, sie im vergangenen Jahr in Düsseldorf zu sehen. Erst jetzt unterfange er sich, dem schöpferischen Genius des Komponisten, dessen Zeit er nicht übermäßig beanspruchen wolle, zu huldigen, ihm in aller Bescheidenheit seine Bewunderung für ein Werk auszusprechen, welches zugleich moralischer Erbauung diene und künstlerisch äußerst originell sei. Caterina hob den Blick und zermarterte sich das Hirn nach einem Hinweis, ob dies die Schmeichelei eines Speichelleckers oder aufrichtiges Lob war. Steffani, erinnerte sie sich, hatte die französische Manier in die italienische Oper eingeführt, eine Novität, die Händel, der große Nachahmer – um kein stärkeres Wort zu benutzen –, ihm abgelauscht hatte. Der Schreiber erging sich noch drei weitere Absätze lang über das Werk, schwärmte von seiner Vortrefflichkeit und Sittlichkeit, von der Vollkommenheit der Musik und den profunden Prinzipien, die im Libretto Ausdruck fänden. Es folgten Notenlinien, ein paar Takte. Caterina las die erste Zeile: ‚Deh non far colle tue lagrime‘, und noch während sie die Worte artikulierte, meinte sie das außerordentlich schöne Largo zu hören. Als das Oboensolo einsetzte, verstummte sie, gebannt von diesen Klängen. […] Sie blätterte noch einmal zum ersten Blatt zurück. Oh, wie vollkommen das war, diese Phrase in der Introduktion, die beim Einsatz der Sopranstimme wiederaufgenommen wurde. Sie las den Text, hätte es ahnen können: ‚Morirò fra strazi e scempi.‘ Wer hatte sich da hineingesteigert? ‚Ich werde sterben in Grauen und Gemetzel.‘“

Donna Leon, „Himmlische Juwelen“, aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz, 295 Seiten, Diogenes Verlag, € 22,90

Carsten Hinrichs, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 5 / 2012



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