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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Julian Hargreaves/Sony

Sonya Yoncheva

Barocker Vokal-Vulkan

Der bulgarischen Star-Sopranistin Sonya Yoncheva gelingt mit ihrem neuen Album „Händel“ eine kleine Barock-Sensation.

Den wichtigsten Berufstipp bekam sie von Martha Domingo: „Sing keine kleinen Rollen mehr, lass dir die Haare wachsen – und nimm ab!!“, sagte die Ehefrau von Plácido Domingo zu Sonya Yoncheva, als diese 2010 den Operalia-Gesangswettbewerb gewann. „Sie hätten mich damals sehen sollen! Ich war ein Häschen – und habe jeden dieser Tipps sofort befolgt!“, lacht sie. War vielleicht richtig! Heute gilt Sonya Yoncheva als die vielversprechendste Nachfolgerin von Angela Gheorghiu und Anna Netrebko: als weithin beste Violetta, Mimì und neuerdings auch Norma (als welche sie die Netrebko am Covent Garden ersetzte).
Umso erstaunlicher, dass sich die bulgarische Sopranistin jetzt, auf ihrem zweiten Solo- Album, nicht die blutüberströmten Wege tragischer Verdi-Heroinen oder das Ernten von Belcanto-Früchtchen vorgenommen hat. Sondern zu Georg Friedrich Händel ihre Zuflucht nimmt; einem Komponisten, zu dem kaum eine Sängerin des italienischen Fachs große Zuneigung bewies. „Händel ist mein Mozart“, so Yoncheva. Sie meint damit, dass die gelenkigen Arien des Barockmeisters für sie dieselben heilsamen Funktionen übernehmen, die man sonst Mozart-Arien zuspricht. Mozart sei der „Bewahrer der musikalischen Nuance“, so hat schon die große Leontyne Price gesagt. Warum dann nicht auch Händel!?
Barockmusik bildet den Ursprungsbezirk für Sonya Yoncheva. Trotz des sinnlichen, fleischig vollen Timbres der Sopranistin sang sie von früh an auch Rameau, Monteverdi und andere Alt-Meister. Dazu wurde sie von Barock- Guru William Christie animiert. „Mach dir keine Sorgen! Genau so eine Stimme möchte ich bei Händel hören“, sagte Christie. Andere Barock-Dirigenten, erinnert sich Yoncheva, waren damals zurückhaltender. Bis auch Emmanuelle Haïm zugriff. Seitdem hat Yoncheva mit den meisten großen Dirigenten der historischen Aufführungspraxis zusammengearbeitet. Es zeigt, dass die blutarmen, ‚weißen’ Stimmen auch für Barockes längst nicht mehr bevorzugt werden. Für Salzburg plant Yoncheva derzeit Monteverdis „Poppea“ in einer Neuproduktion.
Nie zuvor klang das berühmte „Lascia ch’io pianga“ aus Händels „Rinaldo“ so tränenreich ruhig, dabei strahlend im Leidensaufschwung. Cleopatra porträtiert Yoncheva als Vorläuferin romantischer Opern-Königinnen. In den Titelrollen von „Alcina“, „Agrippina“, „Rodelinda“ und „Theodora“ vermittelt sie ein vulkanisch glutvolleres Barockbild als wohl alle Vorgängerinnen bislang. Sie singt mit traditioneller Stimme, aber auf der Höhe rhetorischer Reflexion. Alessandro De Marchi leistet mit der Academia Montis Regalis gute Schützendienste. Als Bonus gibt’s das Lamento aus Purcells „Dido and Aeneas“.

Bulgarische Erdigkeit

In der Rückbesinnung aufs Barocke drückt sich bei Yoncheva kein Bestehen auf sonderbaren Vorlieben, sondern ein fundamentaler Unterschied aus. „Ich habe kein Stammrepertoire, sondern nur etliche Epizentren, auf denen ich mich tummle“, sagt sie. „Ich folge keiner Linie und keinem festen Plan, sondern versuche mich durch möglichst unterschiedliche Aufgaben herauszufordern.“ Ihre ‚rote Phase’ werde daher von keiner ‚blauen Phase’ abgelöst. „Ich hasse es steckenzubleiben und brauche die Abwechslung, um lustvoll bei der Sache zu bleiben.“ Sie habe zwei Gesichtshälften, ergänzt sie. Die rechte sei ihr sogar eher fremd. Eine Asymmetrie, die ihr stimmlich allerdings zum Vorteil ausschlägt.
Keine Frage, dass Yoncheva in der – gern übersehenen – Nachfolge großer bulgarischer Sänger steht wie Boris Christoff, Nicolai Ghiaurov, Anna Tomowa-Sintow und Krassimira Stoyanova. „Bulgarische Stimmen verfügen über eine gewisse Erdigkeit im Klang. Die Stimme folgt der Muttersprache“, ergänzt sie. „Bulgarisch ist eine Art mediterrane Ausgabe des Russischen, nur direkter im Klang.“ Der Einfluss der Griechen, Türken, Römer und des gesamten Balkans hätten zu einem besonderen Mischungsverhältnis geführt. „Wir sind vielseitig, integrieren uns gut und haben die Eigenschaften eines Chamäleons.“ Hört man.
Geboren 1981 in Plovdiv, studierte sie Gesang und Klavier zunächst in ihrer Heimatstadt, dann in Genf (bei Danielle Borst). Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Dirigenten Domingo Hindoyan, und Sohn Mateo (2) lebt sie in Berlin und am Genfer See (bei Lausanne). Schon als Teenager moderierte sie eine Musiksendung im bulgarischen Fernsehen. Seit ihrem Einspringer-Debüt an der Metropolitan Opera im Jahr 2013 (als Gilda in „Rigoletto“), wohin man sie sofort wieder einlud, gilt Yoncheva als ganz große Hoffnung der internationalen Opernszene. In Deutschland wurde sie vor allem als „Traviata“ in der von Daniel Barenboim dirigierten Neuinszenierung von Dieter Dorn an der Berliner Staatsoper gefeiert.
Nach ihrer Debüt-CD „Paris mon amour“ (ein Album-Titel, mit dem sie selber übrigens nicht ganz glücklich war) gelingt Sonya Yoncheva mit „Händel“ eine überragend originelle, unser Händel-Bild dabei angenehm aufmischende Vokal-Überraschung. Ein Vokal-Vulkan, der aktiv geworden ist.

Neu erschienen:

Georg Friedrich Händel

Händel

Sonya Yoncheva, Academia Montis Regalis, Alessandro De Marchi

Sony

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Staffellauf der Primadonnen

Die Suche nach einer Netrebko-Nachfolgerin beginnt reichlich früh. Die 45-Jährige indes macht sich allzu rar und ist mittlerweile fast vollständig beim schweren Verdi und bei Puccini angelangt. Bei der Sony werden daher neben Sonya Yoncheva auch noch Olga Peretyatko und (fürs leichtere Fach) Pretty Yende in Stellung gebracht. Bei der Deutschen Grammophon setzt man künftig auf die tatarische Sopranistin Aida Garifullina (die in Stephen Frears Film „Florence Foster Jenkins“ bereits als Lily Pons zu sehen war, siehe auch Seite 14). Im Auge behalten mag man auch die albanische Sopranistin Ermonela Jaho. Die deutsche Anja Harteros kommt gegen diese Konkurrenz leider nur auf der Bühne an. CDs machen will sie nicht.

Robert Fraunholzer, 28.01.2017, RONDO Ausgabe 1 / 2017



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