Maestro Monteverdi, Porträt von Bernardo Strozzi (c) Tiroler Landesmuseen Ferdinandeum, Musiksammlung
In groben Zügen sind die Umstände ja bekannt, unter denen das Tor zur Opernwelt endgültig aufgestoßen wurde. Vor genau 410 Jahren, am 24. Februar 1607, wurde im Palazzo Ducale zu Mantua vor einer handverlesenen und vom Herzog angeführten Hörerschaft Claudio Monteverdis „L’Orfeo“ uraufgeführt. Seitdem gilt dieses Werk als Ur-Szene aller nachfolgenden Opern, in denen ebenfalls die ewigen Themen wie Liebe, Sehnsucht und Treue besungen werden. Wie sehr Monteverdi bereits zu Lebzeiten für seine als „Favola in musica“ bezeichnete Oper „L’Orfeo“ bewundert wurde, verdeutlicht nicht zuletzt die ihm zu Ehren aufwendig gestaltete Begräbniszeremonie. Am 29. November 1643 wurde „Divino Claudio“, der „Göttliche Claudio“, in der Kirche Santa Maria dei Frari in Venedig aufgebahrt. Und rund um den Katafalk hatte man ein Meer von Kerzen aufgestellt, deren Schein sich in der Kirchenkuppel in einen sternenübersäten Nachthimmel verwandelte. Diese Inszenierung war auf das besondere Finale gemünzt, mit dem Monteverdi seinen „Orfeo“ hatte ausklingen lassen. Denn statt wieder mit Euridice vereint zu sein und damit den Sieg der Liebe über den Tod zu feiern, lässt bei Monteverdi Gott Apoll seinen Sohn Orfeo in den von Sternen bekränzten Himmel aufsteigen. Die durch Orfeo verkörperte Musik erlebte hiermit ihre Apotheose.
An Verbeugungen vor diesem Sänger aller Sänger herrscht seitdem kein Mangel. Wobei noch im 17. Jahrhundert italienische Komponistenkollegen den ruhmreichen Windschatten Monteverdis ausnutzten und mit eigenen Opern nachlegten. Aus den „Orfeo“-Opern von Luigi Rossi (1647 im Schloss von Fontainebleau uraufgeführt) sowie Antonio Sartorios „Orfeo“ (1672) hat nun der französische Countertenor Philippe Jaroussky sich die Highlights rausgepickt und mit Evergreens aus Monteverdis erster Vertonung zum Pasticcio „La storia di Orfeo“ zusammengestellt. Obwohl die dramaturgischen Akzente in den insgesamt drei Opern durchaus gegensätzlich angelegt wurden – Monteverdi fokussiert sich auf Orfeo, Rossi und Sartorio dagegen auf das Schicksal Euridices –, kommen Zusammenstellung und Aufnahme wie aus einem Guss daher. Zumal die Musiker, die erneut vom sich in die klangsinnlichsten Seelenregionen aufschwingenden Jaroussky angeführt werden, mit einer ansteckenden Leuchtkraft und berührenden Intensität zu Werke gehen. Die ungarische Sopranistin Emőke Baráth schlüpft gleichermaßen bewegend in die verschiedenen „Euridice“- Partien. Und das von Diego Fasolis geleitete Ensemble I Barocchisti steht dem großartigen Coro della Radiotelevisione svizzera in nichts nach, was die zwischen Grandezza und Drive liegenden Ausdrucksnuancen angeht.
Als Pasticcio kommt auf einer Neueinspielung von Roland Wilson, La Capella Ducale und Musica Fiata auch Monteverdis „Marienvesper“ daher. Moment mal!, mögen sofort jene Gralshüter des original geschriebenen Notentextes aufschreien, die dahinter Schändung der 1610 veröffentlichten „Vespro della Beata Vergine“ vermuten. Nun steckt das Werk bis heute bekanntermaßen in einer Never-Ending- Rezeptionsgeschichte. Und wer einen kurzen Blick in Silke Leopolds aktuelle Monteverdi- Biografie wirft (s. Buchbesprechung auf S. 44), der bekommt dort ab S. 135 eine Ahnung von den vielen Fragezeichen und Diskussionen allein über den Entstehungsanlass. Nun also präsentiert Roland Wilson eine Fassung der „Marienvesper“, die sieben Jahre nach Monteverdis Tod in Venedig veröffentlicht worden ist. Der Musikverleger Alessandro Vincenti hatte Ausschnitte aus Monteverdis Original mit einer Motette von 1624 sowie Werken von damals bedeutenden Zeitgenossen wie Giovanni Rigatti und Alessandro Grandi kompiliert. Und diese Ausgrabung hat Roland Wilson jetzt mit expressivem Impetus und klanglicher Impulsivität von seinem Musikerteam umsetzen lassen – derart beeindruckend, dass man glatt von einem wachgeküssten Meisterwerk sprechen muss.
Mit einerseits dem komplettem 8. Madrigalbuch (stimmlich hochvirtuos auch in der Textbezogenheit: das von Krijn Koetsveld geleitete Sextett Le Nuove Musiche) sowie andererseits Höhepunkten der in Venedig komponierten Madrigalbücher Nr. 7 & 8, die in wertvollsten wie auch unterhaltsamsten Klangfarben dank Paul Agnew und dem von ihm geleiteten Ensemble Les Arts Florissants erklingen, bekommt Monteverdi posthum zum 450. ein weiteres, würdiges Geburtstagsständchen. Kein Wunder, dass damals nicht nur alle Welt vom Madrigalkomponisten schwärmte, sondern auch der Mönch und Dichter Grillo. So erlaubte er sich eine kleine Sprachspielerei, als er Monteverdi „zum wahren Herrscher über die Musik“ ausrief, der auf „seinem grünen Berge [„monte verde“!] einen harmonischen Turm errichten möge, so hoch, dass er bis zum Himmel reicht.“
harmonia mundi
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Glossa/Note 1
Accent/Note 1
harmonia mundi
Panclassics/Note 1
Ricercar/Note 1
Spätestens seit Christina Pluhars Monteverdi-Album „Teatro d’amore“ (2009, Erato/Warner) steht fest: Monteverdi hatte den Barock-Jazz im Blut. Daran lassen allein seine Ostinato- Bass-Grooves keinen Zweifel. Mit Pluhar swingte Philippe Jaroussky um die Wette. Die passende Fortsetzung kam aber bereits 2010 unter dem vom Bebop-King Thelonious Monk ausgeborgten Titel „’Round M“ heraus. Das italienische Alte Musik-Top-Ensemble La Venexiana hatte sich mit einem Jazz-Quartett um Saxofonist Emanuele Cisi sowie Sopranistin Roberta Mameli zusammengetan, um sich einfach traumwandlerisch zwischen den nun erstaunlich verwandten Musikidiomen des 17. und 20. Jahrhunderts zu bewegen. (Glossa/ Note 1)
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