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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Bennet Seiger

Studium Musikjournalismus

„Wir sind inhaltsgetrieben“

An der TU Dortmund setzt der Studiengang Musikjournalismus auf die enge Verzahnung von Theorie und musikvermittelnder Praxis.

Ein blauer Halbrund-Horizont, gleißende Scheinwerfer, vier Kameras, diverse Mischpulte, geschäftiges Personal und zwei Leute, die laufend nachgepudert werden: So ähnlich sieht es in jedem Fernsehstudio kurz vor der Sendung aus. Und so geht es auch zu in der TU Dortmund, wo der Studiengang Musikjournalismus seinen Studierenden die Möglichkeit bietet, Beiträge zu produzieren, die tatsächlich auf Sendung gehen. Ganz im Ernst. „Terzwerk“ nennt sich das Projekt, das sich in drei Segmente aufteilt: Terzwerk Radio sendet wöchentlich die „klassische Stunde“ auf einer Campuswelle, terrestrisch und im Live-Stream, Terzwerk online ist ein Portal für alle musikjournalistischen Textproduktionen und Terzwerk TV bietet eine Talkshow mit recht illustren Gästen, zu sehen im Bildungsfernsehen nrwision und über die Mediathek der Webseite.
Diesmal wartet das Team auf einen ganz besonderen Studiogast: Die Baritonista Lucia Lucas ist eine Transgender-Sängerin, die als Lucas Harbour in Kalifornien aufwuchs und nun als Lucia Lucas weiterhin mit ihrer ausgebildeten Bariton-Stimme singt. Produktionsleitung, Technik, Licht, Ton und Moderation übernehmen die Studierenden selbst, ein Profi überwacht den Prozess. Enrique Sánchez Lansch ist Produzent und Dokumentarfilmer – u. a. drehte er die legendäre Kino-Doku „Rythm is it“– sitzt nun bei dieser Produktion nur beobachtend am Rand. Kurz bevor die erste Klappe fällt, kommt auch Holger Noltze dazu. 2005 wurde er als Professor an die Universität Dortmund berufen, um den Studiengang Musikjournalismus aufzubauen. Noltze ist selbst auch Musikjournalist und will von den Kassandrarufen, von denen die Branche widerhallt, nichts wissen: „Ich nenne es das letzte-Mohikaner-Syndrom, das tragen viele große Kollegen vor sich her. Wir kennen diese Lust am Untergang ja aus der Oper, und sicher sorgt die Warnung davor, heutzutage noch Musikjournalist werden zu wollen, dafür, dass nur die, die es wirklich wollen, in den Beruf gehen. Aber vielleicht ist das Gejammer auch einfach nur eine déformation professionnelle? Wir produzieren keine große Zahl an Absolventen, aber die, die wir produzieren, die sind schnell drin im Betrieb. Allein zwei unserer derzeitigen Studenten schreiben immerhin schon für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.“ Trotz TV-, Radio- und Vermittlungspraxis: Print bleibt wichtig in der Ausbildung.

Keine Chance für Flachquatscher

Noltze besteht darauf, dass in Dortmund keine medial versierten, aber aalglatten Flachquatscher produziert werden: „Nein, nein, wir sind schon inhaltsgetrieben und lehren hier nicht Marketing für Popmusiker. Wir fragen uns eher, was bergen die Medien an Möglichkeiten, vom Inhalt, der uns wichtig ist, möglichst viel rüber zu bringen?“
Jonas Zerbeck ist nach viereinhalb Jahren im ersten Mastersemester und hat seine Interessen verlagert: „Print war mir erst zu weit weg vom Rezipienten, mein Urantrieb war eher die Musikvermittlung. Inzwischen hat sich das aber verschoben, denn ich habe das Schreiben als Medium schätzen gelernt, weil man komplexere Sachen leichter auf weniger Platz vermitteln kann. Mit der Kritik kann ich meinen Teil zum Betrieb dazu geben.“
Auch Kristine Hering ist seit Oktober 2012 dabei und arbeitet seit drei Jahren für Terzwerk-TV als Aufnahmeleiterin. Bei ihr war es umgekehrt: „Ich wollte unbedingt Print machen, dann kam Radio, und dann Fernsehen. Wichtig ist mir aber, dass ich die Menschen für Musik begeistern kann. Und ihnen über mein Medium kommunizieren kann, dass Musik ein Kulturgut ist, das beschützt werden muss. Auch kulturpolitische Diskussionen liegen mir sehr am Herzen, die müssen auch im TV geführt werden.“
Zukunftssorgen machen sich die Studierenden nicht, Jonas ZerZerbeck ist sogar optimistisch: „Vor vier Jahren war doch der Tenor: Der Journalismus geht den Bach runter, die Onlinemedien wachsen zwar, verdienen aber kein Geld, das Publikum stirbt aus. Aber ich sehe heute ganz viele Chancen, im Onlinejournalismus, in der Kombination verschiedener Medien und im Begleiten von Veranstaltungen und Festivals.“
Auch Noltze weiß: „Die Aufnahmebereitschaft des Betriebs neben dem klassischen Journalismus ist riesig, von der Pressestelle über die Dramaturgie bis hin zur Vermittlung. Unsere Absolventen sind alle Persönlichkeiten. Ich glaube, dass wir auch total wichtig sind als Labor zur Entwicklung von Redeweisen und medialen Umgangsarten mit klassischer Musik. Und für die Suche nach der Antwort auf die Frage: Was ist die Zukunft der klassischen Musik? Denn auch der Bedarf nach Klassik – schreckliches Wort, aber wir haben kein besseres – wächst. Sie ist in diesen Zeiten auch ein Trostangebot.“

www.musikjournalismus.tudortmund.de

Qualifiziert für Musik und Medien

Der Studiengang Musikjournalismus an der TU Dortmund (B.A./ M.A) will Sachverstand in Musik und Professionalität im Umgang mit Medien verzahnen. Dazu kooperiert das Institut für Musik-
und Musikwissenschaft mit dem Institut für Journalistik und konzentriert sich speziell auf die Vermittlung „klassischer“ Musik. Angestrebt ist eine enge Verzahnung von Theorie und Praxis in allen Kernbereichen des weit gefassten Berufsbilds: das Verfassen von Musikkritiken, Konzeption und Moderation von Konzerteinführungen, Programmheft-Texte, Künstlerporträts, Radio-Moderationen, TV-Skripte und Pressetexte. Das Studium umfasst außerdem ein 4- bis 6-monatiges Praktikum an einer musiknahen Einrichtung.

Regine Müller, 03.06.2017, RONDO Ausgabe 3 / 2017



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