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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Dario Acosta/DG

Daniil Trifonov

Sturm und Klang

Ganz unterschiedliche Blickwinkel nimmt der junge Pianist bei seiner Hommage an Frédéric Chopin ein.

Lange hatte man in Salzburg auf ihn gewartet. Und umso herzlicher fiel im Sommer nun der Empfang aus, den man Daniil Trifonov in der Festspielstadt nach seinem umjubelten Debüt gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern bereitete. Viel Zeit zum Durchatmen blieb dem weltweit umworbenen Russen danach freilich trotzdem nicht. Steht doch bereits das nächste Großprojekt für ihn auf dem Plan: eine Hommage an Frédéric Chopin, dessen Musik Trifonov in den kommenden Monaten unter anderem bei Konzerten in Paris, Leipzig und New York beschäftigen wird.
„Ich habe in den letzten Jahren so gut wie keinen Chopin mehr gespielt. Umso interessanter ist es jetzt für mich, wieder zu diesem Komponisten zurückzukehren, der vor allem während meiner Studienzeit ein wichtiger Teil meines Lebens war.“ Für Trifonov ist es fast eine Art Heimkehr, wie er in einem Gespräch zwischen den Salzburger Proben einräumt. Hatte er doch 2010 mit einem dritten Platz beim Chopin-Wettbewerb in Warschau erstmals international auf sich aufmerksam gemacht, und auch sein viel beachtetes Debüt-Album mit Werken des Komponisten bestritten. „Er ist für mich einer der poetischsten Komponisten überhaupt, seine Musik hat etwas sehr Intimes und Persönliches. Ich glaube, dass sie vor allem deshalb so berührt. Die Zuhörer ebenso wie den Interpreten.“

Akt der Rebellion

Im Zentrum seines neuen Programms, und natürlich auch der parallel erscheinenden Doppel-CD, stehen dabei – fast möchte man sagen: natürlich – die beiden Klavierkonzerte, die Chopin sich mit gerade einmal 20 Jahren selbst auf die virtuosen Finger komponiert hatte. (Das trotz höherer Opuszahl zuerst entstandene Werk in f-Moll dabei noch ganz unter den frischen Eindrücken seiner ersten großen Liebe.) Der jugendliche Überschwang, der hier oft zwischen den Noten herauszulesen ist, macht für Trifonov allerdings nur einen Teil der Faszination aus. „Natürlich ist dieses Alter für fast jeden Menschen eine der bewegtesten Phasen seines Lebens, vor allem emotional. Aber was Chopin in diesen beiden Werken geleistet hat, geht weit darüber hinaus. Ich weiß nicht, ob es ein bewusster Akt der Rebellion war, aber gerade was die Struktur betrifft, geht er hier oft gegen alle Regeln, wie nach damaliger Meinung ein Konzert aufgebaut sein sollte.“
Die Konzerte sind umfangreicher als alles, was Chopin zuvor geschrieben hatte, und sollten gleichzeitig auch sein einziger Beitrag zu dieser Gattung bleiben. Was Trifonov kaum verwundert. Denn auch, wenn Chopin die Klavierkonzerte von Mozart oder Beethoven kannte und auf ihre Art bewunderte, war sein Interesse an der Form doch völlig anders gelagert. „Er sah das Konzert eher wie eine lyrische, epische Form, wie eine große Leinwand zur Darstellung seiner verschiedenen musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten.“
Spannend wird Daniil Trifonovs Interpretation dieser beiden Klassiker des Klavierrepertoires nun aber nicht zuletzt auch dadurch, dass sie hier in einer neuen Instrumentation von Mikhail Pletnev erklingen, die dem Ganzen eine fast schon kammermusikalische Note verleiht. Kennengelernt hatte Trifonov diese Fassung bei einem gemeinsamen Auftritt mit seinem Landsmann, der auch jetzt wieder am Pult des Mahler Chamber Orchestra steht. „Ich mochte seine Orchestrierung sofort und habe darauf bestanden, dass wir sie auch für unsere Aufnahme verwenden, da sie mir viel interessanter erscheint als das Original. Sie erlaubt mehr Interaktion zwischen dem Solisten und dem Orchester, wodurch eine neue Balance entsteht, von der die Musik sehr profitiert.“ Dass es zusätzlich nicht von Nachteil ist, mit Pletnev einen Mann am Dirigentenpult zu haben, der Chopins Konzerte auch aus der Sicht des Pianisten kennt, unterstreicht Trifonov gleich. „Das spürt man bei ihm sofort. Außerdem bleibt der Part des Solisten fast völlig unangetastet. Mit Ausnahme einer kurzen Passage im Finale des ersten Konzerts, wo das Orchester kurz den Klavierpart übernimmt. Aber auch davon profitiert meiner Meinung nach die Balance.“
Die daraus erwachsenden Chancen weiß Trifonov geschickt für sich zu nutzen und neue Facetten der oft und gern gehörten Werke zuTage zu fördern, ohne dabei seine großen Vorgänger auszublenden. Fragt man ihn nach Einflüssen, fallen zum Beispiel Namen wie Cortot, Horowitz oder Michelangeli. „Doch Chopin spricht zu jedem von uns auf eine andere Weise. Bei wenigen Komponisten wird man so viele unterschiedliche Interpretationen finden wie bei ihm.“
Die Faszination seiner Musik beschränkt sich dabei jedoch keineswegs nur auf die Interpreten allein. „Chopins Genialität zeigt sich noch deutlicher, wenn man ihn im Kontext mit anderen Komponisten betrachtet.“ So zeigt ihn Trifonovs Album bewusst nicht nur als Schöpfer und Bearbeiter, sondern auch als Inspirationsquelle für nicht minder prominente Herren wie Tschaikowski, Barber, Grieg oder Schumann. Letzterer war es etwa, der sich – nachdem er Chopin mit dessen Variationen über Mozarts „Là ci darem la mano“ erlebt hatte – zu dem oft zitierten Ausspruch hinreißen ließ: „Hut ab, ihr Herren, ein Genie“. Eine Ansicht, mit der er in Folge keineswegs allein stand. Auch für Trifonov ist die Bedeutung von Chopins Opus 2 nicht zu unterschätzen. „Die Variationen waren für ihn eine Art Visitenkarte, ein technisches Feuerwerk, mit dem er sich an neuen Orten vorstellte. Aber gleichzeitig eben auch eine Verneigung vor einem Komponisten, den er zutiefst verehrte.“ Aus diesem Gedanken heraus wurde schließlich die Idee geboren, als Abrundung nun ebenfalls nach Stücken zu suchen, die ihrerseits den von Schumann beschworenen Hut vor Chopin ziehen.
Dabei dürfte Trifonov besonders seinem Mentor und Lehrer Sergei Babayan auf die Finger geschaut haben, mit dem gemeinsam er das Album mit Chopins selten zu hörendem „Fantaisie Impromptu“ op. 66 beschließt. „Chopin verzeiht nichts. Wenn man eines seiner Werke eingeübt und dann nur für zwei Wochen zur Seite gelegt hat, dann geht schon etwas verloren. Chopin erfordert maximale Aufmerksamkeit.“ So bleiben Trifonovs Auftritte als Kammermusiker derzeit eher handverlesen, wie etwa bei einem gemeinsamen Abend mit Anne-Sophie Mutter zu Pfingsten in Baden- Baden oder im sommerlichen Salzburg, wo man ihn nach seinem spektakulären Prokofjew ebenfalls als einfühlsamen Liedbegleiter von Bariton Matthias Goerne erleben konnte. „Ich liebe Kammermusik, aber es ist oft schwer, zwischen den Proben für meine Solo-Recitals oder Orchesterkonzerte die Zeit dafür zu finden. Bei Festivals, wenn man länger an einem Ort ist, fällt das leichter. Deshalb genieße ich das hier umso mehr.“

Neu erschienen:

Frédéric Chopin, Robert Schumann, Edward Grieg u.a.

„Chopin Evocations“

Daniil Trifonov, Sergei Babayan, Mahler Chamber Orchestra, Mikhail Pletnev

DG/Universal

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Erscheint Anfang November:

Franz Schubert

Forellenquintett“,

Daniil Trifonov, Anne-Sophie Mutter, Maximilian Hornung, Lee Hwayoon, Roman Patkolo

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Dreamteam

Aufgefallen war er Anne-Sophie Mutter bereits 2011, als sie ihn beim Preisträgerkonzert des Moskauer Tschaikowski- Wettbewerbs erlebte. Seitdem hat Mutter Daniil Trifonovs Karriere nicht nur als Zuhörerin interessiert mit verfolgt. Im Baden-Badener Festspielhaus trafen die beiden im Juni 2017 erneut aufeinander, um gemeinsam mit drei ehemaligen Stipendiaten der Anne-Sophie Mutter-Stiftung Schuberts „Forellenquintett“ zu musizieren. Eine Zusammenarbeit, an die sich die Stargeigerin gerne zurückerinnert und dabei immer wieder vom Ausdrucksreichtum des Pianisten schwärmt. Nachprüfen lässt sich dies nun auf der ersten gemeinsamen CD der beiden Ausnahmekünstler.

Tobias Hell, 14.10.2017, RONDO Ausgabe 5 / 2017



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